Die Untersuchungsergebnisse von drei weiteren Probestellen in frei fließenden, vom Düngereintrag betroffenen Strecken der Jagst, bestätigen die bisher gewonnenen Erkenntnisse: Das vom Landratsamt Schwäbisch Hall in Auftrag gegebene Folgegutachten stellt, wie schon das erste Gutachten von Anfang September 2015, fest, dass wirbellose Kleinsttiere (Makrozoobenthos) den mit Kunstdünger belasteten Löschwassereintrag unbeschadet überstanden haben.
Pressemitteilung des Landratsamts Schwäbisch Hall vom 23. September 2015
Ökologische Güteklasse II
Laut Gutachter weist die Jagst die – nach wie vor dem Unfall vorhandene – ökologische Güteklasse II auf. Bei der Untersuchung wurden insgesamt rund 6.300 Individuen ausgewertet, die 87 Arten angehören. Allein 17 Arten der jeweiligen untersuchten Gruppen sind deutschlandweit gefährdet, sieben davon in Baden-Württemberg. Das unterstreicht die Bedeutung der Jagst für die Artendiversität Baden-Württembergs. Bemerkenswerte Funde waren der Hakenkäfer und die Ibisfliege. Der Flussflohkrebs sowie flache Eintagsfliegen und Steinfliegen waren, wie schon bei Untersuchungen aus früheren Jahren, unterrepräsentiert. Besonders gut vertreten ist die Käfer- und Libellenfauna.
Überraschendes Ergebnis
Erneut gelangt der Gutachter zu der Aussage, dass die Besiedelung durch das Makrozoobenthos an den Probestellen keine Anhaltspunkte dafür liefere, dass überhaupt Schadstoffe in die Jagst gelangt seien. Dieses Ergebnis sei überraschend, da auch die Organismen am Gewässergrund dem Schadstoffeintrag ausgesetzt gewesen seien.
Damm aufgeschüttet
Als Grund für das Überleben des Makrozoobenthos vermutet der Gutachter die relativ kurze Einwirkzeit. Dazu hat nach Einschätzung des Landratsamts beigetragen, dass bereits am Sonntagvormittag nach dem Großbrand der Lobenhausener Mühle, zirka zwei Stunden nach Erkennen des Fischsterbens, vom Landratsamt Schwäbisch Hall die Aufschüttung eines Dammes per Bagger und damit die Schließung des Mühlkanals veranlasst wurde. So wurde weiterer Schadstoffeintrag verhindert.
Weniger empfindlich gegenüber Ammoniak und Nitrit
Wirbellose Lebewesen, so der Gutachter weiter, besäßen andere Mechanismen der Atmung und des Stoffwechsels. Sie seien deshalb deutlich weniger empfindlich gegenüber Ammoniak und Nitrit als Fische. Empfindlichere Arten des Makrozoobenthos würden jedoch bei Sauerstoffmangel relativ schnell absterben. An der Probestelle bei Elpershofen (Stadt Gerabronn) stellte der Gutachter fest, dass der PH-Wert, der Sauerstoffgehalt im Wasser und die Leitfähigkeit deutlich geringer waren als an den oberliegenden Probestellen.
Erste Belüftungsmaßnahmen
Genau an dieser Stelle bei Elpershofen wurden die ersten Belüftungsmaßnahmen am Montag, 24. August 2015, ergriffen, die damit augenscheinlich sehr wirkungsvoll waren. Die Stelle wurde auch deshalb gewählt, weil sie sich zu dem Zeitpunkt noch vor der Schadstoffdrift befand und weil hier der einzige natürliche Zufluss von Frischwasser, nämlich aus der Brettach, gegeben war.
Kiemen der Tiere verätzt
Durch Sauerstoffzufuhr alleine wäre die Fischfauna im Jagstwasser aber nicht zu retten gewesen, denn der Ammoniak, der sich im Wasser bildete, verätzte die Kiemen der Tiere und machte somit die Sauerstoffaufnahme nicht mehr möglich. Fische haben daher nur in punktuellen Bereichen und vereinzelt den Schadstoffeintrag überstanden.
Unterliegende Abschnitte der Jagst wären trocken gefallen
Frischwasser in den enormen Mengen, die für eine solche Verdünnung der Schadstoffbelastung nötig gewesen wären, die der Mehrzahl der Fische das Überleben gesichert hätte, stand in dem Abschnitt der Jagst im Landkreis Schwäbisch Hall nicht zur Verfügung und konnte auch nicht kurzfristig in diesen Mengen technisch beigeschafft werden. Ein Abpumpen des kontaminierten Jagstwassers war auch keine zielführende Lösung, da unterliegende Abschnitte der Jagst dadurch trocken gefallen wären und der Makrozoobenthos dann tatsächlich großen Schaden genommen hätte.
Fische konnten nicht in sauberes Wasser flüchten
Erkenntnisse gibt es nun auch zu der Frage, warum das Fischsterben im Oberlauf der Jagst im Landkreis Schwäbisch Hall im Unterschied zum Unterlauf der Jagst in den Landkreisen Hohenlohe und Heilbronn dramatischer ausgefallen ist. Nach Auskunft der Fischereiforschungsstelle Langenargen zeigen viele der in der Jagst ausgefallenen Fischarten Fluchtverhalten bei kontaminiertem Wasser. Die Fische im Oberlauf der Jagst waren Ammonium-Schadstoffwerten bis zu 200 Milligramm pro Liter bei einem geringen Wasserablauf von einem Kubikmeter pro Sekunde ausgesetzt, so dass eine Flucht in sauberes, unbelastetes Wasser nicht möglich war.
Viele Wehre behindern Fischwanderung
Für das massenhafte Fischsterben war wohl die Tatsache entscheidend, dass die Jagst im Landkreis Schwäbisch Hall ab der Schadensstelle an insgesamt neun Wehren (Eichenau mit drei Wehren, Kirchberg, Hürden, Hessenau, Bächlingen, Ober- und Unterregenbach) nicht durchgängig war. Solche Fluchthindernisse gibt es im Unterlauf der Jagst nicht mehr, so dass dort die Fische bei einer wesentlich niedrigeren Schadstoffbelastung und bei einem höheren Wasserabfluss sich vermutlich durch Flucht dem kontaminierten Wasser entziehen konnten.