J.M., G.B., M.W., A.W., C.F., D.W., D.F., M.L. – das sind die Initialen der Zeugen, die der Kiesewetter-Untersuchungsausschuss von Baden-Württemberg bei seiner Sitzung am 27. November 2015 befragen will. Hieroglyphen, die der Öffentlichkeit präsentiert werden und unter denen sich selbst gut informierte Kenner der Materie wenig vorstellen können.
Von Thomas Moser, Journalist
Dechiffrierte Zeugenliste:
So geht es in Stuttgart Woche für Woche, wenn der Sitzungsplan des Ausschusses herausgegeben wird. Transparenz sieht anders aus. Dabei hat es die Zeugenliste in sich. Wir dechiffrieren sie hier soweit es geht:
J.M. = Jerzy Montag. Der frühere Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen wird zu seinem Bericht über den V-Mann „Corelli“ (Thomas Richter) befragt, den er für den Bundestag gefertigt hat. Corelli war mindestens 18 Jahr lang V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) in der rechten Szene und hatte auch Kontakt zum NSU. Corelli war unter anderem im Ku-Klux-Klan (KKK) aktiv. Richter kam im April 2014, als er im Zeugenschutzprogramm des BKA war, ums Leben. Die Umstände sollte Montag als Sonderermittler untersuchen. Allerdings wurden ihm nicht alle Akten zur Verfügung gestellt. Weil dem NSU-Ausschuss von Baden-Württemberg der als geheim eingestufte Original-Bericht Montags über Corelli nicht zur Verfügung gestellt wurde, muss sich das Gremium mit der Befragung Montags begnügen.
G.B. = Vertreter des Bundesamtes für Verfassungsschutz, der zum Thema Ku-Klux-Klan befragt werden soll. Mutmaßlich geht es dabei auch um „Corelli“. Mehr war bisher nicht in Erfahrung zu bringen.
M.W. = Cousine von Michèle Kiesewetter, der in Heilbronn ermordeten Polizeibeamtin. M.W. ist die Tochter des Kiesewetter-Onkels Mike Wenzel, der ebenfalls Polizeibeamter ist und der in den 1990er Jahren als Staatsschützer mit dem rechtsextremen Thüringer Heimatschutz (THS) und namentlich auch Tino Brandt zu tun hatte. Das Trio Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe war Teil des THS. Brandt war V-Mann des thüringer Verfassungsschutzes. Kiesewetter Cousine M.W. soll Kontakte in die rechte Szene in Thüringen unterhalten haben. Das behauptet unter anderem die Zeugin Anja Wi.
A.W. = Anja Wi., ebenfalls Polizeibeamtin, frühere Freundin von Kiesewetter und ehemalige Lebensgefährtin von Mike Wenzel. Anja Wi. heiratete Ralf Wi., den Chef einer Sicherheitsfirma, in der auch rechtsextreme Personen beschäftigt sind. Unter anderem ein NPD-Funktionär aus Thüringen, der wiederum Kontakt zu dem Angeklagten Ralf Wohlleben, Ex-NPD-Funktionär, unterhielt. Anja Wi. soll Dienstgeheimnisse aus Ermittlungen gegen die rechte Szene an ihren Mann weitergegeben haben und wurde vom Polizeidienst suspendiert. Inzwischen ist sie wieder im Dienst. Vor dem Amtsgericht Gera läuft derzeit ein bemerkenswertes Verfahren gegen Anja Wi. Sie hatte Beamte der Kriminalpolizeiinspektion Saalfeld wegen Strafvereitelung im Amt angezeigt, da diese sich geweigert hätten, Anzeigen gegen eine Person aus der rechten Szene aufzunehmen. Anja Wi. ist angeklagt, weil sie diese Straftat erfunden beziehungsweise unterstellt haben soll.
C.F. = Ein Bekannter von Michèle Kiesewetter aus ihrem Heimatort Oberweißbach in Thüringen. Auch bei ihm geht es um Kontakte in die rechte Szene.
D.W. = Dominik W., Polizeihauptmeister und früherer Kollege von Kiesewetter bei der Bereitschaftspolizei Böblingen. Sie waren in derselben Einheit tätig (BFE 523) und fuhren im April 2007, wenige Tage vor dem Anschlag, zusammen Streife in Heilbronn. Sie hatten eine Beziehung und wollten sich zusammen nach Karlsruhe versetzen lassen. Ob Dominik W. Kiesewetter einmal auch nach Oberweißbach begleitete, ist nicht ganz klar. W. wurde mehrfach von der SoKo Parkplatz vernommen. In den Ermittlungsakten fehlt mindestens eine Vernehmung. W. weiß von den Einsätzen Kiesewetters als „Zivile Aufklärerin“ zum Beispiel vor Razzien in Diskotheken und von ihrer Tätigkeit als „NoeP“ („Nicht offen ermittelnde Polizistin“), zum Beispiel dem fingierten Aufkaufen von Rauschgift. Bei seiner Vernehmung im Juni 2011 sagte W., der Mord könne eine mögliche Vergeltungstat gegen die Bereitschaftspolizei Böblingen gewesen sein, zum Beispiel von den Rauschgiftbossen in Heilbronn.
D.F. = David Feiler. Schwager von Ralf Wohlleben. Feilers Schwester ist mit dem Angeklagten verheiratet. Feiler selbst war einmal mit Beate Zschäpe liiert. Und sein Bruder war mit Zschäpes Cousin Stefan A. befreundet, der ebenfalls zur Neonazi-Szene von Jena gehörte. Feiler wohnte einmal in Nürnberg, der Stadt, in der die Mordserie begann und in der drei Menschen mit der Ceska-Pistole erschossen wurden. Außerdem wurde der erste Sprengstoffanschlag in Nürnberg verübt. Zschäpe-Cousin Stefan A. und andere Jenaer Neonazis besuchten Feiler wiederholt in Nürnberg. Und: Feiler betrieb in Oberweißbach, dem Heimatort der Polizistin Michèle Kiesewetter, die Gastwirtschaft „Zur Bergbahn“, in der sich auch die rechte Szene traf.
M.L. = Mike L. Ehemaliger Vorsitzender der NPD-Jugendorganisation JN (Junge Nationaldemokraten) von Baden-Württemberg. Außerdem war er V-Mann des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) von Baden-Württemberg. Mike L. hatte Kontakte nach Thüringen, unter anderem zu Patrick Wieschke aus Eisenach, früherer JN-Chef von Thüringen, heute NPD-Landeschef. Mit Wieschke hängt wiederum Carsten Schultze zusammen, ehemals zweiter JN-Chef von Thüringen, heute Angeklagter in München. Mike L. hatte außerdem Kontakt zum KKK-Chef Achim Schmid, der ebenfalls V-Mann des LfV war und bei dem zuhause „Corelli“ verkehrte. Mike L. wohnt in Hardthausen wenige Kilometer nördlich von Heilbronn. Dort besaß Tino Brandt, der frühere Neonazi-Aktivist aus Thüringen und V-Mann, von 2004 bis 2008 ein Haus. Was es mit diesem Haus auf sich hatte, will der Ausschuss herausfinden.
Und nun die abschließende Frage an den Untersuchungsausschuss in Stuttgart: Werden diese Zeugen mit nichtssagenden Initialen abgekürzt, um genau diese Hintergründe zu verstecken?