Nach dem Vortrag von Helge Peukert am 6. Februar 2018 in Schwäbisch Hall über „Das Moneyfest“ waren viele ZuhörerInnen, aber besonders die Veranstalter, tief beeindruckt von den Ausführungen des Referenten. Dem Autor des nachfolgenden Textes ging es nicht so. Er wählte für seinen Kommentar die Überschrift „Nette Geschichtchen vom Herrn Professor – weiter nichts“. Veranstalter des Vortrags war die Schwäbisch Haller „Akademie der Weltmarktverlierer“.
Kommentar von Paul Michel, Schwäbisch Hall
Teil 1: Analyse? Fehlanzeige
Eines muss man ihm lassen, dem Herrn Professor: Er versteht, zu beeindrucken. Das fängt bei seinem Auftritt in Anzug und Krawatte an, der den Eindruck erweckt, dass es bei ihm sehr seriös zugeht. Und das gilt auch für seine Präsentation: Die schier endlose Powerpoint-Präsentation ist gespickt mit Begrifflichkeiten aus dem Fachchinesisch akademischer Ökonomen und flößt dem Laienpublikum offenbar gehörig Respekt vor der geballten Kompetenz des Vortragenden ein. Dazu im Kontrast sein Vortragsstil: Er ist überwiegend gut verständlich, gespickt mit vielen Beispielen, die auch gut und gerne von ATTAC stammen könnten und bei den Anwesenden ein Déjà-vu-Erlebnis auslösten, weil sie die meisten ja schon einmal irgendwo gehört hatten. Und sie wurden vom Professor locker-flockig präsentiert in einer Sprache, die sich angenehm abhob vom Ehrfurcht und Respekt einflößenden Fachjargon der Folien.
Er versteht sich aufs Geschichten-Erzählen
Der Professor hat es mit dem „Narrativ“, einem Begriff, der gegenwärtig auch bei Besprechungen von Managern der höheren und mittleren Ebene und bei Marketingspezialisten Hochkonjunktur hat. Also, der Professor beherrscht die Kunst des „Narrativs“ oder in schlichten Worten ausgedrückt: Er versteht sich aufs Geschichten-Erzählen. Daran ist zunächst einmal gar nichts auszusetzen. Denn man kann den Geschichten folgen im Gegensatz zu Referenten mit akademischem Grad, die ihre Kompetenz durch den Gebrauch eines möglichst kryptischen, mit vermeintlich fachspezifischen Fremdwörtern gespickten Vortrag unter Beweis stellen wollen.
Geschichtchen statt Analyse
Das Problem mit Professor Peukert ist, dass er auch da, wo er vorgibt, zu analysieren, nicht über das Geschichtenerzählen hinauskommt. Ein Beispiel: In seiner Powerpoint-Präsentation unterlegt er seine Behauptung, dass die Verschuldung maßgeblich für das Entstehen der modernen Krisen verantwortlich sei, mit einem Zitat von John Kenneth Galbraith: Alle Krisen haben etwas mit Schulden zu tun, die in der einen oder anderen Weise völlig aus dem Ruder gelaufen sind, im Verhältnis zu den verfügbaren Zahlungsmitteln.“ Dass es für Krisen im Kapitalismus noch eine Reihe ganz anderer Ursachen gibt, erwähnt Peukert nicht. Bei der Krise von 2000/2001 war das Platzen der IT-Blase, die neben dem „Irrationalen Überschwang“ der Spekulation nicht zuletzt auch viele Züge einer ganz banalen Überproduktionskrise aufwies, die im Kapitalismus im Abstand von sieben bis zehn Jahren aufzutreten pflegt, interessiert den Professor nicht. Das gilt noch in viel stärkerem Maße für die Weltwirtschaftskrise von 1973 bis 1975, die das Ende des Goldenen Nachkriegszeitalters des Kapitalismus und den Umschwung zum Neoliberalismus einläutete. Selbst als Erklärung für die Krise von 2007/2008 ist der alleinige Hinweis auf die Verschuldung mehr als dürftig. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere, dass es damals in der Autoindustrie eine Überproduktionskrise gab, die die drei Autogiganten von Detroit an den Rand des Bankrotts brachte. Es ist an dieser Stelle natürlich nicht angebracht, eine umfassende Analyse der Krise von 2007/2008 zu machen. Aber es sich so einfach zu machen wie Professor Peukert, geht nicht. Bei ihm hat die Liebe zum Narrativen offenbar einen bedeutend höheren Stellenwert als das Bemühen um eine fundierte Analyse.
Worüber Peukert spricht, und worüber nicht
Ein anderes Beispiel ließ bei mir den Verdacht aufkommen, dass bei Peukerts Auswahl der Themen für seine Geschichtchen solche Themen wegfallen, die das politische und ökonomische Regime des Kapitalismus in keinem guten Licht erscheinen lassen. Beispiel: Seine Aussagen zur Einheitswährung Euro und dessen Folgen. Peukert hat natürlich am Euro etwas auszusetzen. Aber was? Das wird nicht so klar. Er erwähnt, dass die Südstaaten Europas die Gelegenheit nutzten, dass sie nach Einführung des Euro die Möglichkeit, Kredite zum Zinssatz von einem Prozent zu bekommen, weidlich ausnutzten (Vor Einführung des Euro mussten sie mindestens acht bis zehn Prozent zahlen). Was für ihn daraus folgt, verrät der Professor nicht. Kein Thema ist für Peukert, dass die Bundesrepublik Deutschland und deren mächtige Exportindustrie der Hauptprofiteur der Einführung des Euro waren. Nicht nur, dass das Umtauschverhältnis der D-Mark zum Euro für die deutsche Industrie vorteilhaft, für die meisten anderen Volkswirtschaften von Nachteil war; dank freiem Markt und Einheitswährung, entfiel mit der Einführung des Euro für die schwächeren Volkswirtschaften in der EU eine Option, die z.B. Italien früher ausgiebig genutzt hatte: Die Abwertung der eigenen Währung und eventuell die Einführung von Importzöllen, um die eigene Volkswirtschaft zu schützen. Jetzt aber waren sie auf Tod und Verderben der deutschen Exportdampfwalze ausgeliefert. So hatte das, was die Menschen ab 2010 in der südeuropäischen Peripherie erleiden mussten, seine Ursache nicht in der Verschuldung ihrer Länder, sondern in der Entfesselung der ungebremsten Konkurrenz des neoliberalen Kapitalismus, wobei die Lohnabhängigen in den Ländern des Südens die Opfer und die mächtigen kapitalbesitzenden Eliten in der BRD die Gewinner waren.
Finanzblasenforschung
Wer darauf wartete, dass Peukert den Gründen für das Anwachsen des Finanzsektors nachgehen würde oder gar auf eine „genaue Analyse des aktuellen Status Quo“ darlegen würde, wartete vergebens. Deswegen seien hier ein paar Punkte genannt, die aber offenbar für Peukert ohne Belang sind.
1. Die wachsende Ungleichheit:
Als Folge der neoliberalen Offensive des Kapitals seit Beginn der 1980er Jahre kam es weltweit zu einer drastischen Umverteilung von Vermögen und Einkommen – von unten nach oben. Während Einkommen und Vermögen der Reichen durch die Decke schossen, stagnierten bzw. sanken die Einkommen der Lohnabhängigen. Gleichzeitig schwimmen seither die Reichen im Geld und wissen nicht wohin damit, weil wegen sinkender Einkommen der Mehrheit der Bevölkerung, der Sparpolitik des Staates die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen stagniert bzw. in einzelnen Bereichen sogar rückläufig ist. Die Reichen investieren ihren Reichtum also nicht in Fabriken, sondern tragen ihr Geld auf die Finanzmärkte und investieren in Finanzprodukte wie die Spekulation um Immobilien und Rohstoffe (auch Lebensmittel), Aktien, Anleihen, Derivate. Als Folge ergeben sich spekulative Blasen, die in regelmäßigen Abständen platzen und zu Finanzkrisen führen.
2. Deregulierung und Liberalisierung
Die neoliberale Politik hat in den vergangenen 35 Jahren bis dahin bestehende staatliche Regulierungen des Finanzsektors immer mehr abgebaut und damit das Entstehen eines gewaltigen Netzes neuer internationaler Finanzinstitutionen ermöglicht. Die entfesselten Finanzmärkte haben dabei ihrerseits die Umverteilung von unten nach oben erheblich befördert, indem sie zeitweise Renditen im zweistelligen Bereich zu Gunsten der Vermögensbesitzer ermöglicht haben.
3. Privatisierung
Die Privatisierung vormals öffentlicher Institutionen hat das Anwachsen der Finanzmärkte zusätzlich befeuert. So sind in den vergangenen 20 Jahren ehemals öffentliche Unternehmen und Dienste sowie Teile der Sozialversicherung zu Anlagefeldern geworden. Beispielsweise fließen mit der Riester-Rente hohe Summen zusätzlich auf die Finanzmärkte, um einen Kapitalstock für künftige Renten aufzubauen. Folglich treten private Versicherungsunternehmen als zusätzliche Nachfrager nach Anlagemöglichkeiten auf und treiben damit die Blasen auf den Finanzmärkten unausweichlich weiter an
Im zweiten Teil des Textes werde ich die „nachhaltigen Lösungsvorschläge“ Peukerts zur Zähmung des Finanzsektors unter die Lupe nehmen (Artikel 2 folgt in Kürze).