Der Zeitungsverlag „Südwestpresse“ hat einen juristischen Erfolg gegen die Stadt Crailsheim vor dem Bundesgerichtshof (BGH) errungen. Das Urteil vom 20. Dezember 2018 hat deutschlandweite Bedeutung. Amtsblättern wie dem Crailsheimer Stadtblatt werden enge Grenzen hinsichtlich des redaktionellen Teils auferlegt. Wenn sie das Urteil ernst nehmen, müssen die Zeitungsverlage ihre Lokalberichterstattung deutlich verstärken.
Kommentar von Ralf Garmatter, Hohenlohe-ungefiltert
Stadtblatt hat Lücken geschlossen
Die Zeitungsverlage sind nun in der Pflicht, in den Kommunen die entstehenden Lücken in der Berichterstattung zu schließen. Nicht ohne Grund waren Amtsblätter wie das Stadtblatt in Crailsheim presseähnlicher geworden. Das kostenlose Amtsblatt in der 33.000 Einwohner-Stadt im Nordosten Baden-Württembergs hat viele blinde Flecken in der Lokalberichterstattung beleuchtet. Es erreicht viele Menschen, die keine Lokalzeitung (mehr) kaufen.
Amtsblätter dünner, Lokalzeitungen dicker?
Die Zeitungsverlage müssen jetzt ihre Anstrengungen im Lokalen deutlich verstärken, wenn sich „Staatliche Publikationen“ – wie vom BGH gefordert – „auf Sachinformationen beschränken“ müssen. Wenn die Amtsblätter dünner werden, müssen die Lokalzeitungen dicker und informativer werden. Um Meinungsvielfalt herzustellen, müsste es in jedem Verbreitungsgebiet einer Lokalzeitung mehrere – auf Augenhöhe konkurrierende Medien geben. Idealerweise sollten diese Lokalmedien in ihren Berichten und Kommentaren das gesamte politische Spektrum abbilden. Menschenfeindlichem Extremismus darf aber keine Bühne gegeben werden.
Große Verantwortung für Verlage
Durch das BGH-Urteil zu den Amtsblättern haben die privaten Medienverlage eine noch größere Verantwortung zugewiesen bekommen. Die Zeitungen müssen deshalb ihre publizistische Rolle in den Gemeinden wieder stärker ausfüllen. Sonst entstehen vor allem in kleinen ländlichen Gemeinden große Informationsdefizite. Wo sonst als in den lokalen Amtsblättern hatten kleine örtliche Vereine, Gruppen, Initiativen und Kirchen bisher die Möglichkeit ihre Veranstaltungen größer anzukündigen? Für die kleinen Vereine, Gruppen, Initiativen und Kirchen stellt sich jetzt die Frage wie sie ihre kleinräumige „Kundschaft“ weiterhin erreichen können, wenn die Amtsblätter inhaltlich stark eingeschränkt werden (müssen)?
Probleme für kleine Gruppierungen
Nur selten sind Informationen kleiner Gruppierungen in einer kleinen Gemeinde für das ganze Verbreitungsgebiet einer Lokalzeitung relevant. Während sich die Amtsblätter auf eine Stadt oder Gemeinde beschränken, berichtet die Lokalzeitung mit ihrer begrenzten Seitenzahl über viele Städte und Gemeinden in ihrem Verbreitungsgebiet. Es ist kaum vorstellbar, dass das Hohenloher Tagblatt künftig alle Informationen veröffentlicht, die bisher in den zahlreichen Amtsblättern der Gemeinden im Altkreis Crailsheim publiziert wurden – dort aber nicht mehr erlaubt sind. Da kommen so viele Termine und Veranstaltungen zusammen, dass teuere Extra-Seiten in der Lokalzeitung notwendig würden. Das wird die Südwestpresse nur machen, wenn die zusätzlichen Seiten durch mehr Werbeeinnahmen direkt finanziert werden können.
Herkulesaufgabe
Nach dem Jahreswechsel müssen sich die Lokalredaktionen in ganz Deutschland intensiv mit dem Thema befassen wie sie all das in ihre Lokalzeitungen packen können, was bisher an relevanten Themen in den Amtsblättern veröffentlicht worden ist – nach dem Rechtsstreit der Südwestpresse mit der Stadt Crailsheim von den Kommunen aber nicht mehr veröffentlicht werden darf. Das Informationsangebot für die Menschen sollte nicht schlechter werden als bisher. Deshalb müssen die Verlage deutlich mehr tun, um ihrem gesellschaftlichen Auftrag gerecht zu werden.
Wenn ich die Zusammenfassungen des Urteils richtig verstanden habe, dann ist es „nur“ gültig für Stadt- oder Gemeindeblätter die von der Verwaltung umsonst ! an alle Bewohner verteilt werden – wie in Crailsheim. In einigen anderen Kreisgemeinden scheint mir das anders geregelt zu sein: da gibt es den privaten Kriegerverlag in Blaufelden, der zB das Langenburger Amtsblatt produziert und dafür auch Abonnementspreise verlangt. Entsprechend erhalten auch nur die Abonnenten das Blatt, alle anderen müssen es im Aushang lesen (so auch Gerabronn).
Wenn diese Blätter, wie ich meine, nicht vom Urteil betroffen sind, könnte sich ja auch Crailsheim eine ähnliche Strategie überlegen.
Aber ich lasse mich ja gerne über die Tragweite des Urteils belehren.
Lieber Andreas,
ein BGH-Urteil, eine höchstrichterliche Entscheidung, ist immer richtungsweisend. D.h., dass alle Gemeinden und Städte ihr Handeln überprüfen müssen. Dabei ist die Frage der Versorgung durch die bestehenden Medien und auch die Kostenfrage nicht von höchster Relevanz. Mindestens ebenso wichtig ist die Frage der Unabhängigkeit und Staatsferne. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages schrieb 2016 in einer Stellungnahme zur „Staatsferne im Rahmen der Rundfunk- und Pressefreiheit“:
Selbst eine lediglich randständige, die Pressevielfalt und zugleich die freie, privatwirtschaftlich organisierte Presse nicht tangierende Staatspresse ist abzulehnen. Vor diesem Hintergrund birgt selbst eine überbordende hoheitliche Öffentlichkeitsarbeit Gefahren für die Neutralität der Kommunikationsprozesse und die öffentliche Hand muss sich daher in Art, Frequenz und Umfang in Zurückhaltung üben. Wöchentliche Berichtsbeilagen der Leitung der Gemeindeverwaltung in lokalen Zeitungen wären bspw. unzulässig. Differenzierter ist die Sachlage mit Blick auf die politischen Parteien zu bewerten, da diese grundsätzlich selbst Träger der Pressefreiheit sind und auch auf publizistische Aktivitäten im politischen Meinungskampf zurückgreifen dürfen.