Auf eine „Erfolgreiche Jahrestagung 2019 der Haller Akademie der Weltmarkt-Verlierer“ blickt Geschäftsführer Hans A. Graef zurück. Hohenlohe-ungefiltert veröffentlicht den Rückblick in voller Länge.
Von Hans A. Graef, Haller Akademie der Weltmarktverlierer
Neoliberaler Kapitalismus
Zum dritten Mal wurde als Gegengipfel zum Elitetreffen der Weltmarktführer eine mehrtägige Veranstaltungsreihe über die Schattenseiten und Verlierer der Globalisierung in Schwäbisch Hall veranstaltet. Die unabhängige Akademie der Weltmarkt-Verlierer befasste sich mit den Verlierern, die im harten Konkurrenzkampf des neoliberalen Kapitalismus entstehen. Initiiert von ATTAC Schwäbisch Hall sind diverse Haller Gruppen aus dem gewerkschaftlichen, alternativen und kirchlichen Bereich beteiligt.
Wo Krankheit zum Geschäft wird
Mit einem informativen Prospekt wurde für die Veranstaltungen geworben, die vom 1. Februar bis zum 12. Februar 2019 von 360 Interessierten besucht wurden. 400 Flyer wurden von ATTAC verteilt, fünf Artikel erschienen in der regionalen Presse. „Der marktgerechte Patient“ hieß der Dokumentarfilm, den der Ortsverein der Gewerkschaft Verdi vor 80 Besuchern im Kino im Schafstall zeigte. Ärzte, Pfleger und Politiker erläuterten die schlechten Zustände vor allem in Privatkliniken, wo Krankheit zum Geschäft wird. Seit Einführung der Fallpauschalen, so wurde bewiesen, hat sich die Versorgungslage vieler Patienten massiv verschlechtert, vor allem durch Personaleinsparungen und Arbeitsbedingungen. Die rigorose Durchökonomisierung des Gesundheitswesens hat durch Privatisierungen und Effektivitätsselektion zu erkennbarer Benachteiligung vieler Patienten geführt, wogegen in Berlin und anderswo massiv protestiert wurde. Der Film zeigte, wie das Politische privat wird, wie das rot-grüne Gesetz von 2003 zu Missständen führte, die ansatzweise auch bei uns zu spüren sind.
Gewinne auf dem Rücken der Kranken
Jochen Dürr vom Verdi-Ortsverein Schwäbisch Hall leitete die längere Diskussion, die zeigte, dass dieses Problem mehr in die Öffentlichkeit sollte. Patienten wurden durch diese Form der neoliberalen Ökonomie zu Marktverlierern, während internationale Kapitalgeber Gewinne auf dem Rücken der Kranken machen.
„Armut und Wohnungsnot in einem reichen Land“
Zum Vortrags-Auftakt sprach der Leiter der Erlacher Höhe, Wolfgang Sartorius, im Haller Brenzhaus über das Thema „Armut und Wohnungsnot in einem reichen Land“. Anhand eindeutiger Fakten und Statistiken zeigte er vor 80 Besuchern den Zusammenhang von Einkommen, Obdachlosigkeit und Gesundheit auf. Ärmere Menschen sterben zehn Jahre früher – ein Skandal in einer Gesellschaft, die durch die Verfassung als Sozialstaat definiert wird. Unter den Regierungen von Kanzlerin Merkel hat sich dies noch verschlechtert, 850 000 Wohnungen fehlen, der Markt hat versagt, die Kinderarmut betrifft über zwei Millionen Kinder, die soziale Schere hat sich unter CDU/SPD-Regierungen weiter geöffnet. Ein sachlicher ausführlicher Bericht im Haller Tagblatt beschrieb unter der Überschrift „Lebensverkürzend und tödlich“ – allerdings nicht auf der Wirtschaftsseite, sondern im Lokalteil. Sartorius beleuchtet neben dem materiellen auch die Gesundheit und Bildung“ die Situation aus der Sicht eines Praktikers, der auch im Vorstand der Evangelischen Obdachlosenhilfe in Deutschland sowie im Aufsichtsrat von Brot für die Welt der Diakonie Deutschland aktiv ist.
EU-Politik als Entwicklungsbremse für Afrika
Der Vortrag „Freihandelsdiktate und Rohstoffplünderung – EU-Politik als Entwicklungsbremse für Afrika“ von Dr. Boniface Mabanza mit 55 Zuhörern wäre ausgezeichnet geeignet gewesen für die Akademie der Weltmarktführer, denn er zeigte faktenreich die wirtschaftliche Ausbeutung durch Konzerne in der Phase des postkolonialen Kapitalismus in seinem Kontinent. Leider interessieren sich die Unternehmer und Dr. Döring nicht für diese Realität, die man etwa aus dem Kongo vom Kobalt-Bergbau kennt, wo der Referent herkommt. Er arbeitet seit 15 Jahren bei der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika (KASA) in Heidelberg und ist in Brüssel und Berlin ein viel gefragter Berater. Ausführlich wurde der Einfluss großer Konzerne etwa aus der Ölbranche erläutert, die Macht über Regierungen haben und die häufig Korruption fördern. Faire Handelsbeziehungen und eine soziale Verantwortung im Sinne eines wirtschaftlichen Menschenrechtskodex könnten dazu führen, dass in den rohstoffreichsten Ländern Afrikas nicht weiterhin 69 Prozent der Bevölkerung in extremer Armut leben und oft nach Europa flüchten.
„Weltmarktverlierer Bienen und Insekten“
Das Politik- und Kulturfest „Weltmarktverlierer Bienen und Insekten“ führte 55 Besucher in den Club Alpha, wo auch Stände von Solidarischer Landwirtschaft (Solawi), von Gemeinsam Wohnen „Trauben und Rosinen“, von Gemeinwohlökonomie und Attac vertreten waren. Das Haller Duo Jailhouse Classics mit Jürgen Ohnemus und Jochen Narciss-Sing umrahmte den Abend, der Puppenspieler Jörg Mast spielte eine eindrucksvolle Szene zum Thema Weltmarktverlierer. Ein Film zeigte, wie Flüchtlinge auf Tomatenfeldern Süditaliens ausgebeutet werden, deren kleine Tomatenfarmen oft durch Billigexporte der EU vernichtet werden und die nun für zwei Euro unter meist mafiösen Bedingungen schwer arbeiten. Ein Kultfilm von Oxfam beleuchtete die globale Situation vom Wachstumswahn auf einem begrenzten Planeten.
„Geld! Macht! Sexy?“
Finaler Höhepunkt war der Auftritt des Finanzkabarettisten Chin Meyer im voll besetzten (100) Theatersaal der Kultbucht mit seinem Programm „Geld! Macht! Sexy?“, über das im Haller Tagblatt unter der Überschrift „Liebe auf der Haalmauer und das Geld“ auf der Kulturseite ausführlich berichtet wurde. In seinem neuen Bühnenprogramm zeigte er das Instrumentarium der Mächtigen, die Machthaberei und was Macht mit uns macht. Dabei hinterfragte der „Kapitalismusversteher des Kabaretts“ die allgegenwärtige Gier nach immer mehr Geld und das in alle Lebensbereiche ausufernde Streben nach Sexy-Selbstbestätigungs-Wohlfühl-Konsum im unterhaltsamen Kampf der Wertschöpfungsszenarien.
Weitere Veranstaltungen geplant
Im kontinuierlichen Dialog mit dem Publikum hinterfragte er unser eigenes Geld-Verhalten und baute gekonnt persönliche Verhältnisse mit ein, was die Zuschauer begeisterte. Bis zur nächsten Jahrestagung vom 28. Januar bis 30. Januar 2020 werden noch weitere Veranstaltungen geplant. Angefragt sind u.a. der Sprecher der Bürgeraktion Finanzwende, Ex-MdB Gerhard Schick und Jürgen Grässlin von der Aktion „Aufschrei“ gegen Rüstungsexporte bzw. vom Rüstungsinformationsbüro Freiburg.
Weitere Informationen und Kontakt:
E-Mail: hans.a.graef@t-online.de
Handy ATTAC Schwäbisch Hall: 0162-6878335
Internet: www.weltmarktverlierer-akademie.de