„Lang beschattete Täler“ – Eine Fortsetzungsgeschichte von Birgit Häbich: Der Episoden vierter Teil

„Lang beschattete Täler“ – Eine Fortsetzungsgeschichte von Birgit Häbich: Der Episoden vierter Teil. Die geschilderten Handlungen, Personen und Namen sind frei erfunden. Es werden keine realen Namen von Personen angegeben. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten, lebenden oder toten Personen wären rein zufällig, und sind weder gewollt noch beabsichtigt.

Von Birgit Häbich

IV Herkunft

… Carl Eugen Friedner dachte mit Wehmut an die letzten Jahre, es war ihm einfach nicht gelungen, seine geliebte Paula ganz für sich zu gewinnen. Seinen mehr als nur wohlgemeinten Heiratsantrag überging sie stillschweigend. Nie hatte sie auch nur ein Wort oder eine Zeile darüber an ihn verloren. Wenigstens hätte sie den Antrag wohlwollend in Erwägung ziehen können, aber sie blieb ihm bis heute eine eindeutige Antwort schuldig. Dann war er sehr krank geworden und konnte sich beim besten Willen nicht mehr ständig und mit aller Kraft für eine harmonische Zweisamkeit einsetzen. Vielleicht bescherte ihm die aufgeflammte „Karinakrise“ ja jetzt eine neue Chance sich bei Paula derart beliebt zu machen, dass sie ihn endlich erhörte?

Badisch oder württembergisch?

„Wie ist das jetzt mit dem gehopften Wasser aus dem Hochschwarzwald?“ dröhnte es aus dem Esszimmer. Carl hatte vor lauter sinnieren über seine Paula vergessen, was er in der Küche wollte, nahm hastig drei Tannenzäpfle* aus dem Kasten, eine Tüte mit den wunderbar knusprigen Sesambrezeln vom Fenstersims und trug die Utensilien zum Tisch. „Ah, aus dem herrlich badischen Land!“, lobte Heiner, als er den Aufdruck auf den Bierflaschen erkannte. „Nein“, erwiderte Carl, „aus dem Württembergischen“. „Also, das kann nicht sein!“, entgegnete Heiner vehement, „wenn man weiß, wo das alkoholisierte Nass abgefasst wird, nämlich in Grafenhausen, also dort wo das Tannenzäpfle herkommt, und das liegt mit achthundertachtundsechzig Metern über Null im Landkreis Waldshut, und somit an die hundert Meter tiefer, als die keine fünfzig Kilometer entfernte Linachtalsperre. Man könnte sogar sagen, dass es sich bei dem hochgelegen Tal, dort wo das Wasser der Linach in knapp tausend Meter Höhe gewinnbringend vor sich hin plätschert und welches zur Stadt Forellenbach gehört, dass es sich da um meine zweite Heimat handelt, da nämlich, wo im Hochschwarzwald bereits 1920 der Bürgerwille zur lokalen Stromerzeugung zum Ausdruck kam, genau da ist man auch heute noch badisch und …“ „Jetzt halt aber mal die Luft an, Heiner“, unterbrach ihn Carl Eugen, „ich meine die Sesambrezeln von den Erdmannhäusern, und die kommen aus Erdmannhausen, und das ist immer noch württembergisch.“

Rettung der Demokratie

„Was streitet ihr euch eigentlich wegen eurer politischen Zweckehe, die insgesamt doch wunderbar funktioniert und wirtschaftlich floriert?“, meinte Paul lakonisch. Er kam erfrischt aus dem Bad, trug wie üblich daheim keine Beinschiene und zog daher den rechten Fuß etwas nach. Mit einer Schüssel in den Händen gesellte er sich zu Heiner und Carl. Nachdem Paul sein Bierglas in einem Zug geleert hatte, öffnete er die Brezeltüte und schüttelte den Inhalt in das mitgebrachte Gefäß. „Da seht her, ihr findigen und fleißigen Baden-Württemberger, ihr könnt alles: Bier brauen, Brezeln backen, Kraftwerke bauen und sogar reaktivieren, was könnt ihr eigentlich nicht?“ „Hochdeutsch“, ergänzte Dieter grinsend. Und Carl ergänzte leiser werdend: „Aber jetzt grad müssen wir uns echt anstrengen, da hilft nämlich nur ein ganz arg wagemutiger Tüftlergeist gegen die Auswirkungen der so genannten „Karinakrise“. Und da wo selbst die Dichter und Denker vorsichtig geworden sind, da muss uns bald etwas Grandioses zur Rettung unserer Demokratie einfallen.“ Carl hielt erstaunt inne, ja das war es, es musste etwas geschehen, die Kontaktsperre dauerte nun schon wochenlang. Legte alles Leben und die ganze Wirtschaft lahm, wer sollte das denn bezahlen? Ohne die Werteschaffenden würde es im Lauf der Zeit keine Steuereinnahmen mehr geben und von was sollte man die Verwaltungen und die politischen Organe, welche heute die Aussetzung der demokratischen Rechte beschlossen und durchsetzen wollen, morgen noch bezahlen? Er hatte erst gestern im Internet von einer Offenen Petition gelesen, welche die Wiederherstellung der bürgerlichen Freiheiten forderte. In keinem Land, in dem man die Freiheit über die Maßen beschnitt, florierte weiterhin die Wirtschaft. Die Freiheit der Menschen, zu arbeiten, anzubauen, zu produzieren, zu handeln und in einem Wettbewerb zueinander zu stehen, ist die Voraussetzung für eine funktionierende Wirtschaft – so war zumindest sein liberales Verständnis eines funktionierenden Marktes, welches er nun durch die „Karinakrise“ auf den Kopf gestellt sah.

Neue Sozietät

Es schmerzte ihn, wenn er an alle die dachte, die jetzt gezwungenermaßen daheim bleiben mussten, nicht arbeiten durften und kein Einkommen erzielen konnten, und auch keine Chance hatten, mit Rücklagen oder staatlichen Hilfen durch diese Zeit zu kommen. Wie sollten sie ihre Mieten bezahlen, die Nebenkosten finanzieren? Ganz zu schweigen von den Kosten eines nicht stattfindenden Betriebes, den Ausgaben für Pachten, Personal, Steuern, Gebühren und was da sonst noch anfällt, würden ja trotzdem vom Konto abgebucht. Da würden allerhand Sorgen und Fragen auf Steuerberatungsbüros zukommen. Die neue Gesetzeslage erforderte es nun, sich mit seinen Kollegen in der Kanzlei abstimmen. Seit einem Jahr wirkte Carl Eugen Friedner wieder regelmäßig, als besonders rechtskundiger Steuerberater, mit jüngeren Kollegen in einer neuen Sozietät, in der Kreisstadt seiner alten Heimat zusammen.

Heiratsantrag …

Wie würde Paula die „Karinakrise“ überstehen? Sie hatte keine finanziellen Polster, sie würde, wie viele andere Kleinselbständige auch ins Schleudern geraten. Es würde ihr bestimmt nichts anderes übrig bleiben, als den unbeliebten Antrag auf das so genannte „Arbeitslosengeld Zwei“ zu stellen. Ob er ihr nochmals einen Heiratsantrag machen sollte? Nein, sie würde ihn jetzt erst recht ablehnen und ihn verhöhnen. Carl musste sich in Ruhe überlegen, wie er seiner geliebten Paula, ohne sie zu demütigen, unter die Arme greifen könnte … Fortsetzung folgt.

Erläuterungen:

*Tannenzäpfle: Eine Sorte Flaschenbier der Brauerei Rothaus, www.rothaus.de
*Linachtalsperre: Der Bau der Staumauer geschah in den Zwanziger Jahren des vergangen Jahrhunderts aus Kostenersparnisgründen in „aufgelöster Bauweise“, eine großartige Leistung der damaligen Ingenieurskunst, durch eine Initiative von Bürgern aus der Region und mit Hilfe der GEDEA wurde das Kraftwerk in den 1990er-Jahren reaktiviert, https://www.dieter-schaefer.eu/newpage9002110d
*ErdmannHAUSER: Getreideprodukte seit 1989, https://erdmannhauser.de/
*Politische Zweckehe: Die Gründung Baden-Württembergs, https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/handwoerterbuch-politisches- system/202050/land-baden-wuerttemberg
*Offene Petition: Einfache Möglichkeit sich mit Hilfe einer politisch neutralen und demokratischen Plattform, offen, transparent und wirkungsvoll, z.B. im Internet, zusammenzuschließen um eine gemeinsame Meinung auf demokratischem Weg zu vertreten, https://www.openpetition.de/

Kontaktaufnahme zur Autorin ist möglich unter folgender E-Mailadresse:

b.haebich@web.de

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