Es gibt wahrscheinlich keinen gravierenderen Einschnitt in der Crailsheimer Stadtgeschichte als die Kriegszerstörung 1945. Von 1.799 Gebäuden in der Stadt Crailsheim waren im April 1945 1.152 von Kriegseinwirkungen betroffen. 444 davon waren total zerstört, 192 schwer, 77 mittelschwer und 439 leichter beschädigt. Zwei Drittel der Häuser in Crailsheim waren demnach nicht mehr oder nur noch eingeschränkt für Wohnzwecke nutzbar. Am verheerendsten war die Crailsheimer Innenstadt getroffen. Hier lag der Zerstörungsgrad bei zirka 95 Prozent.
Von der Stadtverwaltung Crailsheim
Tausende waren obdachlos
„Die Innenstadt bot das Bild einer einzigen Ruine“. So beschrieben die beiden für den Wiederaufbau hauptverantwortlichen Planer, Baurat Gustav Schleicher und der Ingenieur Ludwig Schweizer, rückblickend die Situation in Crailsheim. Die Ereignisse der letzten Kriegswochen hatten Tausende von Crailsheimerinnen und Crailsheimern obdachlos gemacht. Sie hausten teilweise in den Kellern ihrer zerstörten Häuser, suchten Unterschlupf in den umliegenden Dörfern, bei Verwandten und Bekannten, oder wurden in noch bewohnbare Häuser eingewiesen, in denen man entsprechend enger zusammenrücken musste.
Katastrophaler Baustoffmangel – Bauboom erst ab 1949
Aus Sicht der betroffenen Menschen ging der Wiederaufbau zunächst sehr schleppend voran. Ende 1945 waren erst 13 neue Wohnungen fertig gestellt. Die Zahlen für 1946 (mit 50) und 1947 (mit 30 neuen Wohnungen) waren ebenfalls noch recht bescheiden. Erst 1948 und vor allem 1949 setzte mit 92 bzw. 183 bezugsfertigen Wohneinheiten ein größerer Bauboom ein.
Für diesen nur langsam in Gang kommenden Wiederaufbau gab es eine Reihe von Ursachen: Ein wesentlicher Grund lag im katastrophalen Baustoffmangel. In einer Bürgerversammlung im März 1947 machte Regierungsbaumeister Stoll folgende Rechnung auf: Der Wiederaufbau würde bei den aktuellen Liefermengen an Dachziegeln 22 Jahre, bei Zement 44, bei Kalk 52, bei Holz 93, bei Backsteinen 130 und bei Eisen, sage und schreibe, 504 Jahre in Anspruch nehmen. Erst mit der Währungsreform von 1948 und der Aufhebung der Bewirtschaftung für fast alle Baumaterialien kam mehr Dynamik in den Wiederaufbau.
Trümmer wurden bis 1951 wieder verwertet
Eine weitere zeitraubende Notwendigkeit war die Enttrümmerung der zerstörten Innenstadt. Aus finanziellen Gründen und um von Baumateriallieferungen unabhängiger zu werden, wurde, anders als in vielen anderen Städten, in Crailsheim nur ein geringer Teil des Trümmerschutts vor die Stadt gekarrt, um ihn dort abzulagern. Vielmehr wurden die Trümmer Straße für Straße, Grundstück für Grundstück abgeräumt und größtenteils einer sogenannten Trümmerverwertung zugeführt. Im Bereich des Rathauses richtete man dazu eine entsprechende Werkstätte ein, in der der Schutt zerstoßen und zermahlen und daraus neue Steine und Betonsplitt gewonnen wurden. Diese Trümmersteine bildeten in den ersten Jahren den wichtigsten Baustoff für den Wiederaufbau Crailsheims. Fünf Jahre – von Mitte 1946 bis Mitte 1951 – nahm die Trümmerverwertung in Anspruch. Nach einer vorläufigen Bilanz wurden über 110.000 Kubikmeter Schutt abgeräumt und daraus knapp 3,5 Millionen neue Steine gefertigt.
Vollständige Neuplanung
Die eigentliche Wiederaufbauplanung begann im Januar 1946 mit der Einrichtung eines „Planungsbüros für den Wiederaufbau“, dem sogenannten Wiederaufbauamt, das zunächst im Fliegerhorst untergebracht war. Unter der Leitung von Regierungsbaurat Gustav Schleicher arbeiteten dort Privatarchitekten auf Honorarbasis, die vom Innenministerium bezahlt wurden. Neben Regierungsbaumeister Stoll ist hier vor allem Diplom-Ingenieur Ludwig Schweizer zu nennen. Ihnen wie auch den Verantwortlichen der Stadtverwaltung war die Bedeutung der Aufgabe bewusst: Das Ergebnis ihrer Arbeit würde das Gesicht Crailsheims „in den nächsten paar hundert Jahren“ bestimmen.
Von Anfang an war klar, dass die „neue“ Stadt kein exaktes Abbild des zerstörten Alt-Crailsheim sein konnte, einer im Kern mittelalterlichen Stadt mit schmalen Gassen und dicht zusammengerückten Häusergruppen. Dem Aufbau sollte eine vollständige Neuplanung vorausgehen. Diese zielte auf ein neues und moderneres Erscheinungsbild der Stadt. Nicht die Reminiszenz an das historische Crailsheim war leitender Gedanke bei der Wiederaufbauplanung, sondern die zeitgemäßen Anforderungen an Zweckmäßigkeit und baulicher Klarheit. Das „neue“ Crailsheim sollte moderner, aufgelockerter und heller, nach den Maßstäben der modernen Stadtplanung „schöner“ werden.
Der Wiederaufbau orientierte sich dabei an folgenden zentralen Grundsätzen:
► Wichtige Durchgangsstraßen wurden verbreitert, neue geradlinige Straßenzüge in zuvor eng bebauten Quartieren geschaffen. Ein gutes Beispiel dafür ist die heutige Adam-Weiß-Straße.
► Die Plätze der Innenstadt, insbesondere der Markt- und der Schweinemarktplatz, erfuhren eine deutliche Vergrößerung.
► Von der Nutzung her sollte Handels- und Gewerbebetrieben in der Innenstadt der Vorrang eingeräumt werden, während reine Wohngebäude und die noch vorhandenen landwirtschaftlichen Betriebe an den Stadtrand verlagert wurden.
► Geplant wurde ein Grüngürtel, der die gesamte Innenstadt umschloss.
► Architektonisch strebte man eine „optische Ganzheitlichkeit“ durch Reihung gleicher Formen an. Hierher gehört besonders das Motiv der Arkaden im Bereich des Marktplatzes und der Langen Straße, ein in Crailsheim völlig neues bauliches Element.
„Wilder“, planloser Wiederaufbau sollte verhindert werden
Im Mai 1949 genehmigte das Innenministerium den endgültigen Stadtbauplan. Bis dahin hatten alle Bauvorhaben in der Innenstadt nur provisorisch vorgenommen werden können. Baugesuche von Innenstadtbewohnern, die ihre Häuser wiedererrichten wollten, mussten zurückgestellt werden, ein „wilder“, planloser Wiederaufbau sollte unter allen Umständen verhindert werden. Es gab lange Wartezeiten, die angesichts der Wohnungsnot bei den Betroffenen zu großem Unmut führten.
Baulandumlegung wurde bis 1956 notwendig
Die Umsetzung des neuen Stadtbauplans brachte es auch mit sich, dass nicht alle Ruinengrundstücke am alten Platz wiederaufgebaut werden konnten. Ungefähr 50 Ruinenbesitzer mussten zur Auflockerung der Innenstadt ausgesiedelt werden, in erster Linie die Besitzer landwirtschaftlicher Betriebe und nicht Gewerbe treibende Privatleute. Die Neuverteilung der Baugrundstücke machte eine Baulandumlegung notwendig. Von 1947 an bewertete ein gemeinderätlicher „Umlegungsausschuss“ alle Grundstücke der Innenstadt, entschied über jedes einzelne, ob es bleiben konnte, ob es verlegt oder mit einem Nachbargrundstück zusammengelegt werden musste, und nahm die Neueinteilung vor. Erst 1956 konnte der Ausschuss seine Arbeit abschließen. Über die komplizierten Verhandlungen mit allen betroffenen Grundstückseigentümern wurden mehr als 2.000 Seiten Protokoll angefertigt.