Die vielfältigen Themen, mit denen sich historisch interessierte Menschen an das Stadtarchiv wenden, führen immer wieder dazu, dass neue Aspekte der Stadtgeschichte in den Fokus treten oder aber Personen, deren Bedeutung bisher völlig unterschätzt wurde. Ein bezeichnendes Beispiel der letzten Monate ist Hermann Roßmann (1902-1985).
Von der Stadtverwaltung Crailsheim
Ferne – Roman eines D-Zug-Waggons
„Kennen Sie Hermann Roßmann?“ — Mit dieser Frage brachte Dr. Otto Burkhardt die Mitarbeiter des Stadtarchivs im Sommer 2018 ordentlich ins Grübeln. Der pensionierte Rektor des Albert-Schweitzer-Gymnasiums interessierte sich für die Werke des ehemals in Crailsheim beheimateten Schriftstellers. Jedoch war bislang über die literaturhistorische Facette der Stadt wenig bekannt. Nach einer mäßig ergiebigen Internet-Recherche stand fest: Hermann Roßmann wurde am 15. Februar 1902 in Berlin geboren. Er schrieb Romane (Klas der Fisch, 1927; Ferne – Roman eines D-Zug-Waggons, 1928) und Theaterstücke sowie zahlreiche Hörspiele, die in der gesamten Bundesrepublik gesendet wurden. Außerdem produzierte er in den 1930er und 1940er Jahren mehrere international prämierte Amateurfilme. Diese wenigen ersten Rechercheergebnisse lieferten den Auftakt zu einem innovativen Forschungsprojekt.
Eine Spurensuche mit Erfolg
Der Germanistik-Student Sebastian Kopf (Karlsruher Institut für Technologie) ist als freier Mitarbeiter von Stadtblatt und Stadtarchiv unter anderem Autor der Broschüren zu den Städtepartnerschaften mit Worthington und Pamiers. Er beschloss, sich im Rahmen seiner Masterarbeit mit dem Leben und Wirken Roßmanns auseinanderzusetzen. Dies bedeutete zunächst einmal abzuschätzen, ob genug Material für eine wissenschaftliche Arbeit zu beschaffen war. So begann eine zeitintensive und spannende Spurensuche, die schließlich bis ins benachbarte Ausland führte.
Archivdokumente füllen vier laufende Meter
Den entscheidenden Hinweis lieferte Dr. Burkhardt. Der passionierte Pädagoge konnte über die erste Crailsheimer Austauschschülerin in Worthington und zugleich Tochter des Schriftstellers, Renate Roßmann, den Kontakt zu deren Familie herstellen. Von hier an übernahm Axel Roßmann, der älteste Sohn, die Koordination der einzelnen Familienmitglieder, wenn es um die Beschaffung von verschiedenen biographischen Informationen ging. Zusätzlich sorgte Axel Roßmann dafür, dass der gesamte literarische Nachlass seines Vaters an das Stadtarchiv Crailsheim gesendet wurde, wo er im Umfang von zirka vier laufenden Metern dauerhaft verwahrt wird.
Die Digitalisierung und Verwahrung der Filme Roßmanns
Das literarische Vermächtnis Roßmanns beinhaltet neben sämtlichen veröffentlichten Werken und weiteren unveröffentlichten Manuskripten auch zahlreiche biographische Unterlagen. So konnte mit Hilfe eines Briefwechsels zwischen dem langjährigen Pressereferenten der Agfa Gevaert, Frank Frese, und Hermann Roßmann aus dem Jahr 1977 der Film „Masken“ in den Beständen des Bundesverbands Deutscher Film-Autoren (BDFA) ausfindig gemacht und digitalisiert werden. Der Film „Masken“ wurde während der Weltausstellung 1937 in Paris mit einer Goldmedaille ausgezeichnet.
Filme liegen auf DVD im Stadtarchiv vor
Weitere Amateurfilme verwahrte die Filmwissenschaftlerin Martina Roepke in den Niederlanden für die Familie Roßmann. Durch Roepkes Kontakte zur Landesfilmsammlung Baden-Württemberg konnte im Herbst 2019 mit Unterstützung des Stadtarchivs eine Fördermöglichkeit zur Digitalisierung und Verwahrung der Filme in Stuttgart gefunden werden. Die restaurierten Schmalfilme zeigen auf beeindruckende Weise die kreativen Möglichkeiten der Filmamateure in der Weimarer Republik und der Zeit des Nationalsozialismus. Sie gewähren uns zudem einen Einblick in das Privatleben einer mittelständischen Familie in Berlin. Auch die Roßmann- Filme liegen auf DVD im Stadtarchiv vor.
Kunst und Kultur in der Zeit des Nationalsozialismus
Der Aufstieg der Nationalsozialisten erschwerte Roßmann die schriftstellerische Tätigkeit immens. Das Stück „Flieger“ (1933), eine Hommage an die Piloten des Ersten Weltkriegs, wurde vom Reichspropagandaministerium als „unerwünscht“ deklariert. Nach dem Verbot wurde das Stück 1934 in London aufgeführt und in den USA unter dem Titel „The As“ verfilmt.
Zuflucht in Michelbach/Heide
Als Volksfrontmann erlebte Roßmann den Untergang seiner Heimatstadt Berlin, während seine Frau Hildegard mit den gemeinsamen Kindern als Reichsdeutsche in Tirol ausgewiesen wurde. Die junge Familie fand in Michelbach an der Heide Zuflucht und wartete dort bis August 1945 auf die Rückkehr des Familienvaters aus russischer Kriegsgefangenschaft.
Neue Heimat in der Stadt Crailsheim
Im Juli 1952 zog die Familie nach Crailsheim in die Friedenstraße 17. Von nun an versuchte Roßmann seinen Lebensunterhalt mit Hilfe seiner Leidenschaft, dem Schreiben, zu bestreiten. Er schrieb unermüdlich an Theaterstücken und Hörspielen. Er produzierte neue Filme und hielt in Gaststätten und an Volkshochschulen Vorträge über seine vergangenen Reisen. 1952 verfasste Roßmann auch sein wohl wichtigstes Stück: „Fünf Mann – Ein Brot“. Das Kriegsgefangenen-Drama wurde auf zahlreichen deutschen Bühnen von Karlsruhe bis Hamburg gespielt und feierte 1958 seine Premiere in Paris.
Doch die literarischen Erfolge reichten nicht aus, um die Familie zu ernähren. Daher beschloss Roßmann 1959 wieder in den heimischen Familienbetrieb zurückzukehren und die Leitung einer Holzfaserfabrik in Wörgl (Tirol) zu betreuen.
Das Werk Roßmanns im Stadtarchiv
Hermann Roßmann starb am 3. März 1985 in Wörgl. Sein Werk spiegelt den historischen Medienwandel von der Weimarer Republik bis in die frühe Bundesrepublik wider und erlaubt einen medienhistorischen Einblick in das Leben eines Menschen, der sich stets zwischen institutionalisierter Professionalität und laienhafter Leidenschaft bewegte.
Roßmann und sein Werk werden in den kommenden Monaten im Rahmen mehrerer Veranstaltungen des Stadtarchivs vorgestellt.
Weitere Informationen und Kontakt:
https://www.stadtarchiv-crailsheim.de/