„Lang beschattete Täler“ – Eine Fortsetzungsgeschichte von Birgit Häbich: Der Episoden achtunddreißigster Teil. Die geschilderten Handlungen, Personen und Namen sind frei erfunden. Es werden keine realen Namen von Personen angegeben. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten, lebenden oder toten Personen wären rein zufällig, und sind weder gewollt noch beabsichtigt.
Von Birgit Häbich
XXXVIII Tal
… „Wahrscheinlich war Tante Luise damals vollkommen überfordert, als ihr Mann so unerwartet verstorben ist. Der Onkel Ewald hat seine finanziellen Dinge stets in Ordnung gehalten, und als agiler Mann dachte er zu Lebzeiten ja gar nicht daran, urplötzlich nicht mehr da zu sein. Luise war also weder auf seinen Tod noch auf die erfolgte problematische Übernahme meines geerbten Anwesens vorbereitet“, fasste Paula zusammen.
Besitzübergabe
Carl freute sich über Paulas klare Sichtweise. Damit wären die Geschehnisse und der verübte Anschlag auf ihr Leben mit ihr zusammen sicherlich aufzuarbeiten. „Also nochmal Paula“, fing Carl dann wieder an zu fragen: „Wie wurde damals, als Ewald Bündner so plötzlich verstarb, die Besitzübergabe des Hauses konkret geregelt?“ Paula setzte nun zu einer Erklärung an: „Gut, ich muss aber ganz arg weit ausholen: Der Flachler hat seinerzeit“, und fügte ironisch lächelnd mit einem unschuldigen Augenaufschlag hinzu: „Anstatt dir, den ersten Stock komplett für seine Kanzlei gemietet. Damals war er noch mit der Rechtsanwältin Capri in der Bürogemeinschaft. Zur Sicherheit fragt sie aber nach: „Weißt du das noch Carl? Du und der Onkel Ewald, ihr seid an dem unglückseligen Tag, wo der Onkel gestorben ist, von mir über den Hinterausgang aus dem Atelier ins Treppenhaus hinauf zum Flachler gegangen. Bei ihm oben im ersten Stock habt ihr euch abgesprochen. Dann seid ihr gemeinsam zu den Sparkässlern hinüber marschiert.“ „Ja, ich erinnere mich“, bestätigte Carl und Paula fuhr erneut mit einer Frage fort: „Und dann war dort der Vertragsschluss zur Übernahme?“, Ja Paula, aber warum fragst du?“ bestätigte Carl etwas irritiert. „Weil ich damals vor lauter Überforderungen und Angst nicht mehr klar denken konnte. An dem Vormittag tauchten üble Vorahnungen in mir auf – mir war sterbenselend.“
Vertuschen
In diesem Hin und Her zwischen Gedanken und Gefühlen, dass wegen der missratenen Verhandlung vor dem Heilbronner Landgericht, alles verloren sei – und dann wieder doch nicht, weil der Onkel es vielleicht noch retten könne. Und das Auf und Ab im persönlichen Verhältnis zu Carl, die Zweifel die langsam in Paula nagten, ob er nicht treu wäre und überdies hinter ihrem Rücken den betrügerischen Brüdern dienen würde. Zur ständigen Suche nach dem, was da eigentlich ablief, kam Carls Schweigen dazu. Aus lauter Scham über seine gezielt gezeigte Unfähigkeit bei der Verhandlung, wollte er sein herbeigeführtes Versagen dann aber wieder vertuschen. Mit dieser Schandtat, die er der eigentlich geliebten Frau angetan hatte, konnte Carl nämlich dann auch nicht leben. Und Paulas ureigene Vorliebe, sich erst einmal scheu zu verstecken, anstatt mit Carl zusammen in die Höhle der Löwen zu gehen, machte die verfahrene Situation nicht besser. Der Verlust des ansehnlichen Erbes wäre ja nicht nur ein materieller und existenzieller gewesen, sondern auch ein erheblicher Imageverlust. Also ließ Paula alles und jedes über ihren Kopf hinweg geschehen. Sie handelte nach einem alten Spruch aus ihrem Berufsleben: >Fotografen verbringen ihr halbes Leben damit zu warten<. Und Carl war nicht im Stand seinen ausgewachsenen Bubikomplex< abzulegen. So hielten sie beide ihr kaputtes System aufrecht, um nur ja ihr Gesicht, ihre jeweils gut gepflegte Fassade nicht zu verlieren.
Zur Seite geschoben
„Dich alleine zum Onkel gehen zu lassen war ein grober Fehler von mir. Das hätte ich gar nicht dulden sollen. Ich hätte mich dir widersetzen und dich in deine Schranken weisen, und eben alleine zum Onkel fahren sollen, um ihm die Lage klar zu machen. Es war ja schließlich mein Haus und mein Erbe um das es ging. Dass der Onkel kurz vor den Übernahmeverhandlungen mich und dich dann einfach zur Seite geschoben hat, leuchtet mir ein. Wir haben ein schönes Paar abgegeben. Unser kindisches Benehmen und unsere Uneinigkeit haben die Brüder natürlich weidlich ausgenutzt, um uns fataler Weise gegeneinander auszuspielen.“ Carl dachte nach und nickte zustimmend. Ja, da musste er Paula allerdings recht geben: „So, und jetzt fahren wir in den Gutleutehof. Morgen früh will der Heiner uns was erklären. Und stell dir vor, der Paul bringt auch seine Flamme mit“, stellte Carl grinsend fest. „Was heißt hier auch?“, warf Paula ein. Carl überhörte die Frage. Er stand auf, packte die Erläuterungen und Kartenwerke zur ansehnlichen Donaustadt in seine Kitteltasche.
Kulturaktivitäten fehlen
Mit einem letzten Blick in die schöne Donauquelle wartete er, bis Paula sich ebenfalls aufraffte. „Es sticht einem ins Herz, wenn man die Innenstädte sterben sieht“, meinte Carl auf dem Weg zum Auto. „Es fehlt einem ja nicht nur der sinnliche Genuss, sich bei Kaffee und Kuchen oder einem guten Essen auszutauschen. Sondern es wird auch höchste Zeit, dass wir wieder auf allen Ebenen demokratisch, selbstbestimmt und frei leben und handeln. Damit unsere humanistische Kultur nicht stirbt, muss sie nämlich in vielerlei Hinsicht lebendig bleiben.“ „Kunstschulen und Musikakademien sollten dringend wieder öffnen. Es gehört im Kunst- und Kulturbereich doch viel mehr dazu, als nur die Museen irgendwann wieder zu öffnen“, stimmte Paula ihm zu.
Illustre Runde
Am nächsten Morgen waren Paul mit Violetta sowie Carl und Paula, pünktlich vor dem Krafthaus versammelt. Heiner Grün begrüßte die illustre Runde und war über so viel gezeigtes Interesse hoch erfreut. Im Krafthaus gab es allerhand alte Armaturen zu sehen und die laufenden Turbinen sorgten für eine monotone Geräuschkulisse. Wegen dem anhaltenden Lärm war es nicht möglich sich dort länger zu unterhalten. Daher erklärte Heiner nur das Nötigste zu den Funktionen und Schaltanlagen im Krafthaus und schob seine vier Gäste wieder hinaus ins Freie.
Reaktivierung des Kraftwerks
An den Außenschautafeln erklärte er kurz die Geschichte der Linachtalsperre und erläuterte die Gründe von deren Stilllegung, welche vom Gemeinderat im Jahr neunzehnhundertneunundsechzig beschlossen wurde. Auf die Reaktivierung des Kraftwerks neunzehnhundertachtundneunzig, durch seine Energiefirma, ging er nur ganz kurz ein und leitete dann gezielt zur Sanierung der Staumauer in den Jahren zweitausendsechs und zweitausendsieben über. Stolz verkündete Heiner Grün, dass die mittlere Produktion des Linachkraftwerks seit dem Vollstau zweitausendsieben bei etwas mehr wie einer Million und fünfzigtausend Kilowattstunden (KWh) lag. Er erläuterte dann den Sinn und Zweck einer Winterabsenkung. Und schloss seinen Vortrag mit einem Ausblick in die Zukunft und zu den politischen Vorhaben im Zuge der anstehenden Landtags- und Bundestagswahlen ab.
„Vielen Dank, Heiner, für deine guten Informationen“, meinte Carl und die Gruppe klatschte freudig Beifall. Abschließend lud Heiner zu einer gemütlichen Tischrunde bei Schwarzwälder Schinken und vorbereiteten Erfrischungen ein. Dazu bat er seine Gäste mit in die Wirtschaft zur Talsperre zu kommen … Fortsetzung folgt.
Erläuterungen:
Kommunikation: https://de.wikipedia.org/wiki/Metakommunikation
Linachkraftwerk: https://www.dieter-schaefer.eu/newpage9002110d
Sehr spannend