Vorzeitiges Aus für eine Ausstellung moderner Kunst in Schwäbisch Hall. Der „moving – circles – growing – lines“ (12.09.08 – 22.11.08) wurde vom Veranstalter Kunstverein Schwäbisch Hall bereits am 10. November 2008 ein abruptes Ende gesetzt
Kommentar von Dagmar Müller, Schwäbisch Hall
„Wenn Sie Kunst sehen wollen, gehen Sie in die Johanniterhalle!“ Mit diesen ruppigen Worten wurde der letzte Besucher der Ausstellung „moving – circles – growing – lines“ der Künstlergruppen Kasseler Schule und dem 1. kasseler avantgardestammtisch von einer Mitarbeiterin des Schwäbisch Haller Kunstvereins aus der Galerie am Markt hinausgeworfen. Der so Belehrte war im Vorbeigehen auf die Ausstellung aufmerksam geworden und zwei der mit dem Abbau beschäftigten Künstler hatten ihn zur Besichtigung eingeladen.
Der „Skandal“
Was zog denn nun diesen letzten Besucher von der Straße in diese Räumlichkeiten? Der schon nach draußen strömende schlechte Geruch, die angeblich durchs Fenster ersichtlichen Hakenkreuzschmierereien oder etwa gar Pornographie? Dies waren nämlich laut Wolfgang Schwarzkopf, damaliger erster Vorsitzender des Haller Kunstvereins, unter anderem die Gründe, die Ausstellung elf Tage vor dem geplanten Ende zu schließen.“Es war so schlecht, primitiv und pubertär,“ klagte Kurator Michael Klenk, in einem Artikel des Haller Tagblatts. Nun handelte es sich bei „moving – circles – growing – lines“ zudem um eine Ausstellung, deren Konzept unter anderem die Veränderung war. Und da die eingetretenen Veränderungen wohl nicht in die Vorstellungswelt des Vorstandes des Kunstvereins passten, wurde halt dicht gemacht, ohne vorher ein Gespräch mit den Künstlern zu führen. Dazu genügte der Anrufbeantworter. Und für die unmündigen, vor sittlicher und moralischer Verwahrlosung zu bewahrenden Haller Bürger genügte ein HT-Bericht, dass nun zu ist. An die Tür hängte man ein Schild, dass wegen Umbau geschlossen sei. Warum nicht gleich ein Gefahrenstoffsymbol?
Wer sich jetzt noch eine eigene Meinung bilden wollte, konnte nur noch auf das Internet zurückgreifen. Bloß, worin der Skandal bestehen sollte, wird da auch nicht ganz klar. Mit Hakenkreuzschmierereien ist wohl unter anderem eine Gemeinschaftsarbeit der Künstler Scherl, Shin und Schilling gemeint. Wollte man den Malern etwa mit diesem, sich in einem rechten braunen Sumpfeck versinkenden gelbblaugrünen Nazisymbol rechtsradikale Tendenzen unterstellen? Und die als pornographisch bezeichneten sozialkritischen Collagen, deren eigentliche Themen Politik und Machtmissbrauch sind, werden auch niemand in ungeahnte Erregungszustände versetzt haben, trotz nackter Körperteile. Da sei doch mal dem Vorstand des Kunstvereins der Konsum einschlägiger Magazine, Filme und Internetseiten empfohlen, um den Begriff Pornographie adäquat herauszuarbeiten.
Schwäbisch Hall ist nicht Kassel
Der 1. kasseler avantgardestammtisch ist wahrscheinlich davon ausgegangen, dass dieses schon geschehen sei und heutzutage auch klar ist, dass Hakenkreuzdarstellungen in der Kunst nicht auf ein faschistisches Weltbild schließen lassen, sondern zuweilen eher auf das Gegenteil. Durch das von der Gruppe gestaltete Rahmenprogramms zum 1.internationalen punk!kongreß in Kassel 2004 fühlte sich niemand provoziert. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) berichtete seinerzeit folgendes:“Niemand stört sich an den Hakenkreuzen im Schaufenster. Kein Aufruhr wegen der Pornohefte hinter der Scheibe. Nicht einmal der Schriftzug “Wir sind doch Nazis!” ruft die Polizei auf den Plan, obwohl deren Hauptwache gleich um die Ecke liegt. “Wahrscheinlich merkt einfach jeder sofort, dass hier Kunst passiert”, seufzt einer der jungen Künstler, die in der “galerie loyal” am Kasseler Hauptbahnhof ihr Alternativprogramm zum punk!kongreß” veranstalten und bei Flaschenbier und Musik Heftchen mit Namen wie Sex Express zerschnipseln. Kein Weltuntergang in Kassel.
Da in Kassel nun anscheinend eine andere Kunstauffassung herrscht als in Teilen von Schwäbisch Hall, wollte die Autorin dieses Artikels wissen, wo denn hier noch Kunst passiert.
Baselitz TOP ??
Ihr Erfahrungsbericht: Zuerst besuchte ich Baselitz TOP in der Kunsthalle Würth. Denn die beanstandete Hakenkreuzdarstellung von Schilling, Shin und Scherl ist quasi ein Remix der Remixbilder von Baselitz, der mit den betreffenden Bildern eine Kritik an den Mondrian’schen Vorstellungen der „Reinheit“ in der Kunst vollzieht. Was da zu sehen ist, wäre aber beim Kunstverein nie und nimmer durchgegangen! Überall hat der Meister die bei Mondrian noch versteckten Swastikazeichen herausgearbeitet. Im Gemälde „Kubistische Gasmaske“ wieder rechts unten ganz deutlich, wenn auch klein, das unselige Symbol! Und dann „Die große Nacht von damals“: Das Männlein hat ein Hitlerbärtchen und zeigt uns hier sein Geschlechtsteil! Da hat der Herr Würth aber unaufmerksames Personal. Da gehört doch zumindest ein Tüchlein darüber gehängt! Oder vielleicht ein paar Stellen retuschiert. In der Galerie am Markt ist das anders. Da wurde bei „moving – circles – growing – lines“ auch mal ein Bild umgedreht oder ein unzüchtiges PinUp- Girl abgehängt. Wohlgemerkt nicht von den Künstlern, sondern von der Geschäftsstellenleiterin (Sekretärin). Und außerdem ist doch „Die große Nacht von damals“ der Remix von „Die große Nacht im Eimer“, das zusammen mit „Der nackte Mann“ 1963 wegen Unsittlichkeit in Baselitz` erster Einzelausstellung beschlagnahmt wurde. Gibt es in Schwäbisch Hall verschiedene Zeitzonen? In der Langen Strasse ist 2009 und Am Markt noch 1963?
Vielleicht ließen sich ja die verschiedenen Zeitzonen besser überbrücken, wenn der Kunstverein seinem in der Satzung festgeschriebenen Vereinszweck besser nachkäme: Den Schwerpunkt seiner Tätigkeit sieht der Verein in der Vermittlung der bildenden Kunst der Gegenwart. Aber wenigstens hat es in der Kunsthalle nicht gestunken. Zum Schluss noch die „Alten Meister“
Jetzt war mir klar, warum dem von mir oben genannten letzten Besucher die Alten Meister in der Johanniterhalle so ans Herz gelegt wurden. Die Darstellungen sind einfach zu alt fürs Dritte Reich und Schweinereien gibt’s bei sakraler Kunst auch nicht oder wenn, dann nur versteckt, sublimiert und „verfeinert“, so wie sich’s gehört . Hier ist oder war die Kunstwelt also noch in Ordnung? Sind wir so tief im christlichen Kontext seit Kindesbeinen verwurzelt, dass wir die ganzen Kreuzigungsszenen und von Speeren durchbohrten Märtyrerkörper gar nicht mehr als Gewalt wahrnehmen? Und konnte zu dieser Zeit jede/r darstellen, was er oder sie wollte und wie er oder sie das wollte? Naja, sie war wahrscheinlich höchstens das Modell und er der Meister, aber auch nur im Rahmen der vorgegebenen kirchlichen und feudalen Weltordnung. Also andere sagen, was gemalt, gemeißelt oder geschnitzt wird. Es wäre doch schön, wenn der Kunstverein sich nicht an den „Alten“ und „Großen“ orientieren würde. Die hat doch sowieso schon Würth. Kleine und feine Kontrapunkte setzen und nicht gleich die Nase rümpfen, wenns mal angeblich riecht….
INFO: Wer noch einen Blick auf „moving – circles – growing – lines“ werfen will, wird im Internet auf den Seiten www.avantgardestammtisch.blogspot.com oder www.kasseler-schule.de und www.avantgardestammtisch.de fündig.