„Ein kleiner Bauer bekommt großen Einfluss“ – Friedrich Niklas: Kreisleiter der NSDAP im Oberamt Gerabronn und Kreisbauernführer des Kreises Crailsheim

„Ein kleiner Bauer bekommt großen Einfluss – Friedrich Niklas: Kreisleiter der NSDAP im Oberamt Gerabronn und Kreisbauernführer des Kreises Crailsheim“ lautet der Titel eines Artikels in dem Buch „Dorf unterm Hakenkreuz – Diktatur auf dem Land im deutschen Südwesten 1933 bis 1945“. Das Buch wurde 2009 von den sieben regionalen ländlichen Freilandmuseen in Baden-Württemberg herausgegeben. Den Beitrag über Friedrich Niklas hat der Kirchberger Journalist Ralf Garmatter geschrieben.

Von Ralf Garmatter, Journalist aus Kirchberg an der Jagst

Nazihochburg Oberamt Gerabronn

Das Oberamt Gerabronn, im Nordosten des heutigen Baden-Württemberg gelegen, war zu Beginn der 1930er Jahre eine der Hochburgen der NSDAP-Wähler in Württemberg. Bei der Reichspräsidentenwahl am 13. März 1932 stimmten im Kreis Gerabronn mit 55,7 Prozent die meisten Wähler in Württemberg für Hitler. Bei weiteren vier Wahlen bis einschließlich 5. März 1933 stand das hohenlohische Oberamt Gerabronn bei den Naziwählern in Württemberg an vorderster Stelle. Erstmals bei der Volksabstimmung am 12. November 1933 wurde das Oberamt Gerabronn in Württemberg wieder von einem anderen Kreis übertroffen. Im Oberamt Öhringen stimmten 99,4 Prozent für die NSDAP, im Oberamt Gerabronn 99,34. (Quelle: 114-seitiger Parteibericht des NSDAP-Kreises Gerabronn, vermutlich aus dem Jahr 1937 von Kreisgeschäftsführer Robert Walter geschrieben; ein Rückblick auf die Parteigeschichte von 1920 bis 1937; Dokument im Besitz des Autors)

Hohe Nazifunktionäre kamen aus Hohenlohe

Die Bevölkerung der Region Hohenlohe war größtenteils evangelisch. Die meisten Menschen lebten von der Landwirtschaft. Einige der prominentesten Nazifunktionäre Württembergs hatten im Oberamt Gerabronn ihre Wurzeln. So der Stellvertretende Gauleiter Friedrich Schmidt aus Wiesenbach, außerdem der Wiesenbacher Bürgermeister Georg Stümpfig, Gauamtsleiter für Kommunalpolitik und Berichterstatter im Stuttgarter Innenministerium sowie Karl Philipp aus Wittenweiler, Landeshauptamtsleiter III der Landesbauernschaft.
Aus dem nahen Tiefenbach im Oberamt Crailsheim stammte Karl Wilhelm Waldmann, von 1933 bis 1945 Staatssekretär beim württembergischen Reichstatthalter Wilhelm Murr. Im benachbarten Schwäbisch Hall gründete der Gymnasialprofessor Christian Mergenthaler bereits 1922 die NSDAP-Ortsgruppe mit. Mergenthaler war ab 1933 württembergischer Ministerpräsident und Kultusminister. Er hatte auch direkten Einfluss auf die Gründer der 1923 ins Leben gerufenen Ortsgruppe Blaufelden, der ersten im Oberamt Gerabronn. Karl Knauer, ein Gärtner aus Blaufelden, und erster Propagandist der NSDAP im Oberamt, hatte in Schwäbisch Hall den „Professor Mergenthaler“ schon vor 1923 persönlich kennengelernt, um „von ihm Ratschläge entgegenzunehmen“ (Parteibericht). Diese Ratschläge halfen Karl Knauer und Friedrich Schmidt beim Aufbau des NSDAP-Kreises Gerabronn.

Niklas bedauerte die Auflösung des NS-Kreises Gerabronn

Wichtige Funktionen für den Aufstieg und Machterhalt der Nationalsozialisten im Oberamt Gerabronn hatte Friedrich Niklas aus Riedbach, einer damals selbstständigen Gemeinde mit rund 450 Einwohnern. Der Ort gehört heute zur Stadt Schrozberg im Landkreis Schwäbisch Hall. Niklas war von Dezember 1931 – gleich mit seinem Parteieintritt – bis ins Frühjahr 1934 NSDAP-Ortsgruppenleiter in Riedbach. Von Mai 1934 bis Mai 1937 war er der letzte amtierende Kreisleiter des NSDAP-Kreises Gerabronn. Am 14. Mai 1937 fusionierte der Parteikreis mit dem Parteikreis Crailsheim zum „Großkreis Crailsheim“. Gerabronns Kreisleiter Niklas wurde in dieser historischen Stunde im Crailsheimer Schloss sentimental: „Aus seinen Ausführungen klang das Bedauern, dass gerade der Kreis Gerabronn, die frühere Hochburg der nationalsozialistischen Bewegung, der mit dem Namen Friedrich Schmidt verbunden sei, der Auflösung verfallen musste.“ Niklas konnte es nur schwer hinnehmen, dass die NS-Bastion Oberamt Gerabronn, deren Chef er zu diesem Zeitpunkt war, einfach von der Bildfläche verschwindet und Crailsheim einverleibt wird.

Friedrich Schmidt: Trommler und Werber

Aus Sicht der Nazis gab es einigen Grund, stolz auf die Arbeit im NSDAP-Kreis Gerabronn zu sein. In den dazugehörenden 35 Gemeinden wurden nicht nur herausragende Wahlergebnisse erzielt, sondern auch einige charismatische Führungspersönlichkeiten geboren. Geradezu euphorisch schreibt der Verfasser des umfangreichen Parteidokuments über die herausragenden Fähigkeiten Friedrich Schmidts als politischer Führer und Propagandist. Für Württemberg, besonders aber für Hohenlohe-Franken und insbesondere für den Kreis Gerabronn sei „für alle Zeiten der Name des unermüdlichsten und befähigsten dieser Vorkämpfer, des jetzigen stellvertretenden Gauleiters und Leiters des Hauptschulungsamtes, Friedrich Schmidt, untrennbar mit der Gründung unserer Bewegung verbunden. Er war der Trommler und Werber, der Organisator und Bannerträger unserer engeren Heimat; er ist auch heute noch für seine Mitkämpfer der geistige Führer, dem sie unverbrüchlich verbunden bleiben. Voll Stolz verfolgen sie den Weg, den er, über den Gau hinaus, hinein ins grosse deutsche Reich getan hat.“ (Parteibericht)

Friedrich Schmidt machte NS-Karriere

Der in Wiesenbach, in der heutigen Gemeinde Blaufelden, geborene Lehrer Friedrich Schmidt war ab 1928 erster Bezirksleiter der NSDAP in Hohenlohe – bis 1930. Im Jahr 1933 wurde Schmidt zum stellvertretenden Gauleiter Württemberg-Hohenzollerns ernannt. 1937 ging er als Leiter des NSDAP-Hauptschulungsamt ins Braune Haus nach München, die reichsweite Parteizentrale.

Landsmannschaftliche Kontakte

Auch Schmidts 1930 eingesetzter Nachfolger als NSDAP-Bezirksleiter in Hohenlohe, der Wiesenbacher Bürgermeister Georg Stümpfig, er war ab Oktober 1932 Kreisleiter im Oberamt Gerabronn, machte ab 1934 als Gauamtsleiter für Kommunalpolitik und Berichterstatter im Stuttgarter Innenministerium eine steile Parteikarriere. Beiden halfen in der Landeshauptstadt die guten landsmannschaftlichen, fachlichen und politischen Kontakte zu dem aus dem benachbarten Tiefenbach (Kreis Crailsheim) stammenden Karl Wilhelm Waldmann, der 1933 Präsident des württembergischen Landtags wurde und von 1933 bis 1945 als Staatssekretär beim württembergischen Reichstatthalter Wilhelm Murr arbeitete. (Michael Kißener, Joachim Scholtyseck Hrsg., Die Führer der Provinz, NS-Biographien aus Baden und Württemberg, UVK Verlag Konstanz, 1997, S. 683 ff.)

Friedrich Niklas konnte über Leben und Tod entscheiden

Verglichen mit den prominenten Nazis aus dem Oberamt Gerabronn und der Region Hohenlohe spielte Kreisleiter Friedrich Niklas in der öffentlichen Wahrnehmung überregional keine Rolle. Er arbeitete als verlässlicher Parteisoldat an der Basis. Der nur 1,59 Meter große und untersetzte Mann sorgte insbesondere als Kreisbauernführer von 1936 bis 1945 und als Leiter des agrarpolitischen Amts von 1934 bis 1945 für große personelle Konstanz der regionalen NSDAP in den wichtigen landwirtschaftlichen Angelegenheiten. Das verhalf dem NS-System zu Stabilität in der dieser ländlichen Region.
Insbesondere während des Zweiten Weltkriegs konnte Niklas auch über Leben und Tod entscheiden. Von seinem Wohlwollen hing es auch ab, ob ein Landwirt oder ein Knecht zum Kriegsdienst eingezogen wurde oder ob er „unabkömmlich gestellt“ wurde und verschont blieb.

NS-Laufbahn von Friedrich Niklas

Friedrich Niklas war Mitglied folgender NS-Organisationen (Quelle: Spruchkammerakten, Staatsarchiv Ludwigsburg EL 903/1, Bü 195):
– NSDAP vom 1.12.1931 bis 1945
– Sturmabteilung (SA) von 1932 bis 1933
– Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) von 1934 bis 1945

Ämter und Ränge:

– Ortsgruppenleiter in Riedbach von 1931 bis 1934
– Kreisamtsleiter (Amt für Agrarpolitik) von 1934 bis 1945 (ab 1944 Kreisamt für das Landvolk genannt)
– Kreisleiter (Anmerkung: im Oberamt Gerabronn) 1934 bis 14. Mai 1937
– Kreisbauernführer (zuerst im Oberamt Gerabronn, nach dessen Auflösung im neu gebildeten Großkreis Crailsheim) 1936 bis 1945
– Truppführer der SA 1933
– Inhaber der NSDAP-Auszeichnung für zehnjährige Dienste.

Enge Kontakte zu Landesbauernführer Alfred Arnold

Zum Landesbauernführer Alfred Arnold pflegte Friedrich Niklas gute, möglicherwesie sogar freundschaftliche Verbindungen. Zum Jahreswechsel 1936/37 schenkte Arnold dem zwei Jahre jüngeren Niklas mit persönlicher Widmung versehen, das vom Reichsnährstand herausgegebene Buch „Die Ahnen deutscher Bauernführer; Band 34; Alfred Arnold“. Auch Arnold hatte zumindest seit 1914 familiäre Wurzeln in Hohenlohe. Seither bewirtschaftete er den Bühlhof bei Ingelfingen nahe Künzelsau. Dieses landwirtschaftliche Anwesen liegt nur rund 25 Kilometer von Niklas Wohnort Riedbach entfernt. Der 1888 in Ellhofen bei Heilbronn geborene Alfred Arnold wurde 1933 zum Landesbauernführer für Württemberg ernannt.

„Riedbach ist vom Zug der Zeit noch wenig berührt“

Niklas Heimatort Riedbach war in den 1930er Jahren ein unbedeutender Flecken an der Kaiserstraße zwischen Crailsheim und Bad Mergentheim. Die politische Situation in der damals selbstständigen Gemeinde am Ende der Weimarer Republik beschrieb der Riedbacher Pfarrverweser Dr. Mistele am 1. November 1932 im Pfarrbericht Riedbach (Quelle: Dokument im Landeskirchlichen Archiv Stuttgart): „Riedbach ist vom Zug der Zeit noch wenig berührt. Da gibt es noch stolze reiche Bauern, die nicht leicht zu behandeln sind. Parteipolitisch sind sie Nationalsozialisten, im Herzen Demokraten, aus wirtschaftlichen Gründen Bauernbündler.“

Riedbach war eine der NS-Stimmenhochburgen im Oberamt

Zu Beginn der NS-Herrschaft hatten die Nationalsozialisten in Riedbach eine ihrer Stimmen-Hochburgen im Oberamt Gerabronn. Bei der Reichstagswahl vom 5. März 1933 findet sich Riedbach in der Reihe der NSDAP-Hochburgen des Oberamts Gerabronn mit 87,8 Prozent an dritter Stelle. Das weist auch auf eine erfolgreiche Propagandatätigkeit des Riedbacher Ortsgruppenleiters Niklas hin. In Württemberg lag der Kreis Gerabronn mit seinem NSDAP-Stimmenanteil von 71,8 Prozent an erster Stelle. Bei der Volksabstimmung am 12. November 1933 befürworteten 99,34 Prozent der Wähler des Oberamts Gerabronn die Politik der NSDAP. In Riedbach hat es dabei wie in sechs anderen Orten des Oberamts Gerabronn (Bächlingen, Hausen am Bach, Hengstfeld, Hornberg, Schmalfelden und Spielbach) bei dieser Wahl keine Nein-Stimmen mehr gegen die Politik Hitlers gegeben.

Sie betrieben das Riedbacher Gasthaus „Roter Ochsen“

Als aktiver Landwirt bewirtschaftete der ledige Friedrich Niklas (geboren am 6. August 1895 in Riedbach/gestorben am 16. Mai 1951 in Blaufelden) in Riedbach mit seinen Schwestern Anna (geboren 1899/gestorben 1979) und Gertrud (geboren 1901/gestorben 1985) einen rund 36 Hektar großen Bauernhof. Dazu betrieben die drei unverheiratet gebliebenen Geschwister noch das Riedbacher Gasthaus „Roter Ochsen“, das seit 1986 im Museumsdorf Wackershofen den Museumsgasthof beherbergt. Als höchstes jährliches Einkommen aus der Landwirtschaft gibt Niklas für das Jahr 1940 den Betrag von 2460 Reichsmark an. 1933 habe das Jahreseinkommen bei 1520 Reichsmark gelegen. (Quelle: Spruchkammerakte Ludwigsburg).

Am Ersten Weltkrieg teilgenommen

Friedrich Niklas ist am 6. August 1895 in Riedbach geboren. Von 1902 bis 1909 besuchte er die dortige Volksschule. Anschließend lernte er im väterlichen Betrieb den Beruf des Landwirts. 1911 und 1912 besuchte er die Landwirtschaftsschule in Schwäbisch Hall. Er nahm von Juni 1915 als Soldat am Ersten Weltkrieg teil und erhielt das Eiserne Kreuz II. Klasse und das Verwundetenabzeichen. Im August 1916 wurde er verwundet. Nach seiner Genesung kam er sofort wieder an die Front. Sein Vater starb im August 1917 unerwartet an einem Schlaganfall. Friedrich Niklas wurde daraufhin von der Armee beurlaubt und führte den landwirtschaftlichen Betrieb seines Vaters weiter.

Vor der NS-Herrschaft keineswegs eine verkrachte Existenz

Niklas war vor der NS-Herrschaft keineswegs eine verkrachte Existenz, sondern in seinem Heimatort ein geachteter Bürger. Von 1923 bis 1945 war er Mitglied des Riedbacher Gemeinderats. Zumindest 1939 saß der Landwirt auch im Kreisrat.
Nach 1918 hat Friedrich Niklas nach eigenen Angaben „wie die meisten Bauern der Gegend demokratisch gewählt. Später dann Bauernbund.“ Am 1. Dezember 1931 trat er nach einer Veranstaltung, in welcher der NSDAP-Parteigenosse Walz aus Schillingsfürst die Rede gehalten hatte in die NSDAP ein (Mitgliedsnummer 814952 / In einigen Schreiben des NSDAP-Kreises Gerabronn und der Kreisbauernschaft Crailsheim wird auch die Mitgliedsnummer 814962 verwendet) „im guten Glauben, einen Schritt für meinen schwer gefährdeten Berufsstand getan zu haben“. Fast alle jüngeren Männer Riedbachs seien nach dieser NSDAP-Veranstaltung, die im November 1931 stattgefunden habe, in die Partei eingetreten, schreibt Niklas in seinem politischen Lebenslauf 1947 weiter.

Gleich zum Ortsgruppenleiter ernannt

Das neue Parteimitglied wurde gleich zum Ortsgruppenleiter in Riedbach ernannt, weil er nach eigenen Worten „schon zuvor den landwirtschaftlichen Obmann unterstützt hatte“. (Quelle: Spruchkammerakte Ludwigsburg).
Was Niklas aus Sicht seiner Parteigenossen zum Ortsgruppenleiter, später zum Kreisleiter und zum Kreisbauernführer prädestinierte und was ihn persönlich dazu motivierte, ist nicht überliefert. Sicher halfen ihm dabei die guten Wahlergebnisse der NSDAP in seiner Heimatgemeinde und der Umstand, dass er als lediger Mann ohne Kinder mehr Zeit zur Verfügung hatte als ein Familienvater. Als Gemeinderat brachte Niklas auch schon einiges an kommunalpolitischer Erfahrung für diese Ämter mit. Finanziell war die Parteiarbeit zunächst nicht reizvoll. Das Amt des Ortsgruppenleiters war ehrenamtlich, ebenso von 1934 bis 1937 der Posten des Gerabronner Kreisleiters.

Als Kreisbauernführer gab es monatlich 230 Euro

Als Kreisbauernführer hat Niklas aber nicht mehr unentgeltlich gearbeitet. Zu Beginn des Jahres 1938 erhielt er von der Landesbauernschaft Württemberg eine monatliche Aufwandsentschädigung von 200 Reichsmark plus einer Zulage von 30 Reichsmark. (Schreiben der Landesbauernschaft an Niklas vom 13. Januar 1938). Aufs Jahr gerechnet entspricht dies noch einmal etwa der Summe, die er als höchste Jahreseinnahme während der NS-Zeit aus seiner Landwirtschaft angab.

Drei Jahre lang im Internierungslager

Nach dem Zweiten Weltkrieg saß Niklas vom 9. Mai 1945 bis 16. April 1948 im Internierungslager Ludwigsburg in Haft. Der Inhaftierung durch die amerikanische Militärpolizei hatte er sich zu entziehen versucht. Durch den Hinweis eines Nachbarn spürten die Fahnder Niklas aber im Keller eines Nebengebäudes seines Bauernhofs in Riedbach auf. Nach Angaben eines Mannes aus Riedbach, der sich auf frühere Aussagen von Niklas Schwestern beruft, hatte sich der ehemalige Kreisleiter und Kreisbauernführer nach dem Ende der Kampfhandlungen im Raum Riedbach in einem großen Mostfass auf dem Gelände des eigenen Hofes versteckt. Dem Hinweisgeber an die Amerikaner war aufgefallen, dass die beiden Schwestern regelmäßig Essen über den Innenhof ins Nebengebäude getragen hatten.

Niklas wollte sich seiner Verantwortung entziehen

Der Verantwortung für sein aktives Mitwirken an der NS-Diktatur wollte sich Niklas nach dem Zusammenbruch 1945 nicht stellen. Vor der Spruchkammer Ludwigsburg bestritt er sogar, jemals Kreisleiter gewesen zu sein. Dutzende Dokumente beweisen aber das Gegenteil. Die Richter im Entnazifizierungsverfahren konnte Niklas mit seiner Verharmlosungsstrategie nicht überzeugen.
Die Spruchkammer im Interniertenlager Ludwigsburg stufte Niklas bei der öffentlichen Verhandlung am 24. November 1947 als „Hauptschuldigen“ – die höchste Bestrafungsstufe – ein. Das bedeutete drei Jahre Arbeitslager, zehn Jahre Berufsbeschränkung und Vermögenseinzug von mindestens 3000 Reichsmark. Außerdem musste er die Kosten des Verfahrens sowie 1,80 Reichsmark täglich an Haftkosten (ab November 1946) bezahlen. Am 15. April 1948 konnte Friedrich Niklas das Internierungslager wieder verlassen. Er kehrte nach Riedbach zurück.

Erfolgreich Berufung eingelegt

Gegen das Urteil der ersten Instanz legte der Bauer erfolgreich Berufung ein. In der Berufungsverhandlung vom 2. April 1949 stuften ihn die Richter der Spruchkammer nur noch als „Belasteten“ (Bestrafungsstufe 2) ein. Durch die politische Haft habe er die damit verhängten zwei Jahre Arbeitslager bereits verbüßt, urteilten sie. Die Richter kamen im Berufungsverfahren zu dem Schluss, dass Niklas während der Nazi-Zeit „keine niedere Gesinnung“ gezeigt habe. Außerdem könne ihm „keine besondere Unterdrückung Andersdenkender nachgewiesen werden“.

„Blut und Rasse“

Zu einer anderen Einschätzung von Niklas als die Richter war der „Öffentliche Kläger“ der Spruchkammer gekommen. Der Öffentliche Kläger (vergleichbar einem heutigen Staatsanwalt) bezeichnete Niklas in einem Schreiben vom 19. Mai 1947 als „Terrorist – was er anordnete, wurde durchgeführt“. In der Wahl der Mittel sei er nicht zimperlich gewesen, meinte der Öffentliche Kläger weiter (Spruchkammerakte Ludwigsburg).
Den Juden im Oberamt machte Niklas als Kreisleiter schon 1936 das Leben schwer. In einem Brief vom 20. Januar 1936 an alle Bürgermeister des Oberamts Gerabronn verlangte er von den Rathauschefs der 35 Gemeinden, es sei „besonders darauf zu achten, dass die Ratsherren und Gemeinderäte“ wegen „ihrer Vorbildsfunktion keine Geschäfte mehr mit Juden machten“. Geradezu ein „Missbrauch des Vertrauens“ sei es, „wenn ein Ratsherr oder Gemeinderat heute noch mit Juden arbeitet“. Einer der „fundamentalen Grundsätze des Nationalsozialismus sei der „Begriff von Blut und Rasse“, schrieb Niklas im Januar 1936 weiter.

„Bei UK-Stellung Parteigenossen bevorzugt“

In der Spruchkammerverhandlung 1947 versuchte Niklas aber auch seine Aktivitäten gegen Juden zu verleugnen. „Ich habe niemand ins KZ gebracht, auch konnten die damals im Kreis wohnenden Juden ungestört ihren Geschäften nachgehen. Mit den Konfessionen hatte ich ein ordentliches Verhältnis.“
Der Landwirt Fritz Deeg aus Hilgartshausen warf Niklas bei der Spruchkammer vor, dieser habe ihm 1937 unrechtmäßig die Führung seines Hofes entzogen. Der Förster Fritz Dinkel aus Amlishagen beschuldigte den ehemaligen Kreisbauernführer und Kreisleiter nach dem Krieg, er habe ihn 1936 wegen regimekritischer Äußerungen bei der Gestapo in Ellwangen gemeldet, was eine Geldstrafe von 80 Reichsmark und Androhung von KZ-Haft zur Folge hatte. Der Bauer Fritz Walther aus Könbronn bezeichnete Niklas als „brutal“. In Bezug auf „UK-Stellung“ (unabkömmlich für den Kriegsdienst) habe der Kreisbauernführer „seine Parteigenossen besonders bevorzugt“, so Walther weiter. Der Landwirt Friedrich Leidig aus Gerabronn beklagte vor der Spruchkammer, dass auf Veranlassung von Niklas auch sein zweiter Sohn noch in den Krieg musste, obwohl der erste Sohn bereits gefallen war und er mit seiner „alten Frau zwei Höfe allein bewirtschaften“ musste. „Mir wollte er die Bauernfähigkeit absprechen und meine Tochter stand unter politischer Aufsicht“, sagte Leidig. Der Gerabronner Gärtner Friedrich Hörrmann gab der Spruchkammer zu Protokoll, dass Niklas ihn von seiner gepachteten Gärtnerei entfernen und sie einem mit Niklas befreundeten Geschäftsmann „zuschanzen“ wollte.

„In allen seinen Ämtern ein NS-Aktivist“

Das Bürgermeisteramt Blaufelden beschrieb Niklas in einer Stellungnahme vom 22. April 1947 als „einen Menschen, der in allen seinen Ämtern als NS-Aktivist bezeichnet“ werden könne. Er habe jeden Andersdenkenden missachtet und sei bereit gewesen, diesen das Vertrauen zu entziehen. Bei der Einberufung von Soldaten zum Kriegsdienst in der Wehrmacht habe man die Feststellung machen können, dass Parteiabzeichenträger jeglichen Alters immer bevorzugt wurden.

In die Wahlmanipulation 1938 in Langenburg verwickelt

Positive Beurteilungen hingegen erhielt Niklas unter anderem vom Ausschuss der politischen Parteien Riedbach (7. März 1947), vom Bürgermeisteramt Riedbach sowie von dem NS-Gegner Friedrich Albrecht aus Eichholz, Gemeinde Riedbach (18. April 1947).
Niklas war auch in die Wahlmanipulation vom 10. April 1938 in Langenburg verwickelt. Bei dieser Volksabstimmung wenige Wochen nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich war gefragt worden, ob die Menschen mit der Politik Hitlers einverstanden seien. In Langenburg stimmten elf Personen mit Nein. Zwei davon waren das NSDAP-Parteimitglied Erich Gunzenhauser und seine Frau Paula Gunzenhauser aus Atzenrod. Wie die anderen Nein-Stimmer der Gemeinde konnte das Landwirtspaar Gunzenhauser durch manipulierte Stimmzettel ermittelt werden (Persönlicher Bericht von Paula Gunzenhauser und Dokumentation „Die Zerschlagung der Arbeiterbewegung in Gerabronn“ des SPD-Ortsvereins Gerabronn). Demnach hatte Langenburgs Bürgermeister Heinrich Laub veranlasst, die Stimmzettel und Kuverts von seinem Gemeindediener nummerieren zu lassen, um so die Nein-Stimmen zu ermitteln. Die Nein-Abstimmer meldete Laub am 11. April 1938 in einem Brief an die NSDAP-Kreisleitung in Crailsheim. Für Erich Gunzenhauser als Parteimitglied hatte diese Denunziation mindestens fünf Tage Gestapohaft in Ellwangen zur Folge. Ende April 1938 war er unter anderem im Beisein von Kreisbauernführer Friedrich Niklas im Langenburger Rathaus verhört worden. Paula Gunzenhauser berichtet: „Nachmittags wurde dann noch der Kreisbauernführer Niklas aus Riedbach und zwei Gestapoleute aus Ellwangen herbeigeholt. Was da mein Mann alles zu hören bekam, ist nicht zu beschreiben“.

Karl Knauer wegen „sittlicher Verfehlungen“ aus der Partei entlassen

Besonderen Einsatz zeigte Kreisleiter Niklas hingegen als Fürsprecher seines früheren Parteigenossen Karl Knauer aus dem Oberamt Gerabronn. Zu Beginn der 1920er Jahre war Knauer der erste Aktivist der NSDAP im Oberamt Gerabronn. Knauer, ein Gärtner aus Blaufelden, war am 1. Februar 1935 auf Grund seiner früheren langjährigen Parteizugehörigkeit „auf Empfehlung des Heilbronner Oberbürgermeisters bei der Milchversorgung Heilbronn eingestellt worden“. Die Molkerei erkundigte sich in einem Schreiben vom 26. Juni 1935 „wegen möglicher verschiedentlicher Verfehlungen“ Knauers vor seiner Anstellung beim „Milchhof“ bei der NSDAP-Ortsgruppe Blaufelden über den neuen Mitarbeiter.
Kreisleiter Niklas antwortete am 9. Juli 1935: „Knauer wurde im Jahre 1932 wegen sittlicher Verfehlungen zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Die Verfehlungen waren derart geringfügig für die damalige Zeit, dass sicherlich Freispruch erfolgt wäre, wenn Knauer nicht Nationalsozialist gewesen wäre. Die Tatsache, dass ihm von drei Monaten einer geschenkt wurde, beweist zur Genüge, dass man vor der Öffentlichkeit mit der Verurteilung ein Exempel statuieren wollte. Es sollen mit dieser Feststellung nicht die Verfehlungen irgendwie beschönigt oder gedeckt werden. Der Ausschluss aus der Partei erfolgte umgehend.“ Die Verdienste Knauers um die Bewegung seien aber so groß, dass Niklas dringend darum bat, „Knauer trotz seiner Verfehlungen, die er ja schwer gebüßt hat, im Betrieb zu belassen. Ich bin überzeugt, dass es unsere alten Parteigenossen mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen, wenn man ihnen sagen kann, dass Knauer ordentlich untergebracht ist.“

Niklas mit Gerabronner Tageszeitung „Der Franke“ unzufrieden

Unzufrieden war Niklas hingegen mit dem Schriftleiter und Verlagsleiter Adolf Wankmüller der Gerabronner Tageszeitung „Der Franke“, dem Monopolblatt der Region. Diese Unzufriedenheit mit dem Chef des politischen Propagandainstruments Lokalzeitung machte er in einer Beurteilung an den Reichsverband der deutschen Zeitungsverleger in Berlin vom 27. Februar 1935 deutlich: (…) „Seit 1. Januar 1935 ist Wankmüller, beziehungsweise der Verlag des Franken wieder aus der NS-Presse ausgetreten.“ (…) Weltanschaulich ist Adolf Wankmüller Liberalist. Als Stahlhelmer sind seine Beziehungen zur Bekenntnisfront unschwer festzustellen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Einstellung Wankmüllers zur NSDAP bis heute noch nicht so ist, wie dies für den Leiter der NS-Presse wünschenswert wäre. (…) Einem Verbot des Franken wollte Niklas aber „aus Nützlichkeitserwägungen“ nicht das Wort reden. „In einem rein bäuerlichen Kreis ist die Basis für die Kreispresse doch verhältnismässig klein und das Risiko infolge dessen um so grösser. Nach meiner Auffassung ist das eine Finanzfrage“, meinte Niklas in seiner Stellungnahme weiter. Adolf Wankmüller konnte als Redaktions- und Verlagsleiter im Amt bleiben. Seine Zeitung „Der Franke“ erschien bis ins Frühjahr 1945.

Schlaganfall 1951 auf dem Blaufeldener Marktplatz

Friedrich Niklas starb am 16. Mai 1951 in Blaufelden im Alter von 55 Jahren. Laut Todesanzeige in der Gerabronner Tageszeitung Hohenloher Tagblatt, dem Nachfolgeblatt von „Der Franke“, vom 17. Mai 1951, führte ein Schlaganfall auf dem Blaufeldener Marktplatz zu seinem frühen Tod. Die Lokalzeitung berichtete im redaktionellen Teil ihrer Ausgabe vom 17. Mai 1951 unter der Überschrift „Vom Tod überrascht“ in nur vier Zeilen vom plötzlichen Tod des früheren NS-Funktionärs. In dem kurzen Artikel war von einem „Herzschlag“ als Todesursache die Rede. Der Zeitungstext: „Der Bauer Fritz Niklas aus Riedbach erlitt auf dem Marktplatz in Blaufelden einen Herzschlag und brach tot zusammen.“ Nur wenige Meter vom Todesort in Blaufelden entfernt hatte sich während der NS-Zeit die Kreisbauernschaft Crailsheim befunden, wo Niklas als Kreisbauernführer gearbeitet hatte.

In Riedbach bestattet

Niklas Leichnam wurde nach Angaben der Kirchengemeinde Ettenhausen-Riedbach am 18. Mai 1951 auf dem Friedhof in Riedbach bestattet. Das Grab besteht nicht mehr. Auf dem Riedbacher Friedhof direkt neben der Kirche ist aber noch das Doppelgrab seiner beiden Schwestern, Gertrud (1979 gestorben) und Anna (gestorben 1985). Beide Schwestern hatten bis zu ihrem Tod in Riedbach gelebt. Friedrich Niklas war wie seine Schwestern nicht verheiratet und hinterließ wie diese auch keine Kinder. Der Zweig der Familie Niklas in Riedbach ist demnach ausgestorben.

Informationen zum Buch „Dorf unterm Hakenkreuz – Diktatur auf dem Land im deutschen Südwesten 1933 bis 1945“:

Herausgegeben von der Landesstelle für Museumsbetreuung Baden-Württemberg und der Arbeitsgemeinschaft der sieben regionalen ländlichen Freilandmuseen in Baden-Württemberg. Erschienen im Verlag Süddeutsche Verlagsgesellschaft Ulm im Jan Thorbecke Verlag 2009. 176 Seiten mit 152 Abbildungen, broschiert, 16,80 Euro, ISBN: 978-3-7995-8044-1

Internet:

www.thorbecke.de

https://www.landesstelle.de/publikationen/museumsfuehrer/

http://www.landmuseen.de/Info-Service-der-Freilichtmuseen-in-Baden-Wuerttemberg/Veroeffentlichungen/Dorf-unterm-Hakenkreuz

Ein Thema – sieben Ausstellungen

Jedes der sieben Freilichtmuseen in Baden-Württemberg präsentiert jeweils einen wesentlichen Teilaspekt des Lebens auf dem Dorf in den Dreißiger und Vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts.

Meist sind bisher in der Forschung eher die Ereignisse in den Groß- und Kleinstädten in den Blickpunkt gerückt worden. Doch wie war es eigentlich auf den Dörfern während des Dritten Reiches? War es anders als in der Stadt? Welche Erinnerungen haben die Menschen an die Ereignisse in den Dörfern? Was können die Häuser, die Museumsgebäude aus dieser Zeit erzählen?

70 Jahre nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs wagen wir verschiedene Blicke in das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte. Fünf der Freilichtmuseen hatten ihre Ausstellung verlängert und auch noch im Jahr 2010 gezeigt. Zu dem gemeinsamen Ausstellungsprojekt ist im Mai 2009 auch eine gemeinsame umfassende Publikation mit zahlreichen Artikeln und vielen bisher unveröffentlichten Fotos aus der Zeit erschienen, die im Buchhandel oder bei den sieben Freilichtmuseen erhältlich ist.

www.dorf-unterm-hakenkreuz.de

Das Projekt wurde maßgeblich gefördert von der Landesstiftung Baden-Württemberg und vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg über die Landesstelle für Museumsbetreuung Baden-Württemberg.

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