Vergleichsweise aktiv sind rechtsextreme Parteien und Gruppierungen in den Landkreisen Schwäbisch Hall, dem Ostalbkreis und dem Main-Tauber-Kreis. Dies zeigt ein Blick in den 277 Seiten umfassenden Verfassungsschutzbericht 2008 des Landes Baden-Württemberg, der im Mai 2009 veröffentlicht wurde. Hohenlohe-ungefiltert dokumentiert in diesem Artikel Abschnitte aus dem Verfassungschutzbericht, die mit der Region Hohenlohe und Ostalb zu tun haben. Den gesamten Verfassungsschutzbericht des Landes Baden-Württemberg 2008 gibt es auch hier zum Download verfassungsschutzbericht_2008_Baden-Wuerttemberg.
Informationen zusammengestellt von Ralf Garmatter, Hohenlohe-ungefiltert
Fraglich, wie gut die Quellen der Polizei sind
Überraschend am Verfassungsschutzbericht 2008 des Landes Baden-Württemberg ist, dass die Staatsschützer der Landespolizei bei ihren veröffentlichten Informationen stark auf die offiziellen Internetseiten der beobachteten Parteien und Gruppierungen zurückgreifen. Nur selten hat man als Leser den Eindruck, dass die Polizei exklusive Informationsquellen in der jeweiligen politischen Szene besitzt.
Auszüge aus dem Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg, die sich mit Orten in Hohenlohe oder dem angrenzenden Ostalbkreis (zum Beispiel Rosenberg-Hohenberg) befassen:
Strukturelle Rahmendaten
Die „Jungen Nationaldemokraten“ (JN) sind die Jugendorganisation der NPD. Sie
verzeichneten 2008 wie 2007 circa 400 Mitglieder. Die JN verfügen anders als ihre
Mutterpartei, die auf ihrer Bundeshomepage Landesverbände für alle 16 Bundeslän-
der ausweist307, nicht über ein bundesweites Netz von offiziellen Organisationsstruk-
turen: Auf der Homepage ihres Bundesvorstandes führen die JN solche Strukturen in
nur elf Bundesländern auf, davon in einem Flächenland wie Brandenburg keinen
Landesverband, sondern nur einen regionalen, so genannten „Stützpunkt“, während
für andere Flächenländer (Hessen, Mecklenburg-Vorpommern) zwar der jeweilige
Landesverband, aber keine „Stützpunkte“ aufgelistet werden.308
Geht man nach der Zahl der Mitglieder und der von den JN im Internet ausgewiese-
nen „Stützpunkte“, zählt der baden-württembergische JN-Landesverband zu den
strukturell am deutlichsten ausgeprägten JN-Landesverbänden. Er konnte personell
im Jahr 2008 wiederum von circa 90 (2007; 2006: circa 60) auf circa 110 Mitglieder
zulegen. Dieser seit Jahren zu beobachtende Mitgliederzuwachs ist einerseits auf
eine hohe personelle Kontinuität aktivistischer Führungskader im JN-Landesverband
Baden-Württemberg zurückzuführen. Zum anderen scheinen die relativ zahlreichen
und vielfältigen, teils öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen und Aktionen der JN
einen spürbaren Rekrutierungseffekt zu entfalten.
Im Dezember 2008 gab es in Baden-Württemberg zehn JN-Stützpunkte (Oktober
2007: neun). Die leichte Steigerung kam durch die nach JN-Angaben Anfang August
2008 erfolgte Gründung des „Stützpunktes“ für den Bereich Reutlingen-Esslingen
zustande. Diese „Stützpunkte“-Architektur offenbarte in der Vergangenheit – wenn
auch nicht im Jahr 2008 – immer wieder eine gewisse Instabilität und Inkontinuität,
die sich in häufigen Neugründungen und Auflösungen von „Stützpunkten“ nieder-
schlug. Diese Fluktuation dürfte trotz der JN-Mitgliederzuwächse der letzten Jahre
mit der immer noch recht dünnen Personaldecke der baden-württembergischen JN
zu erklären sein: Bei circa 110 baden-württembergischen JN-Mitgliedern und zehn
„Stützpunkten“ ist der einzelne „Stützpunkt“ im statistischen Durchschnitt nur rund elf
Mitglieder stark, wobei bei dieser Rechnung noch nicht einmal der Tatsache Rech-
nung getragen wird, dass das JN-„Stützpunkte“-Netz große Lücken aufweist (zum
Beispiel in weiten Teilen Badens) und daher zumindest einzelne JN-Mitglieder gar
keinen Stützpunkt in ihrer erreichbaren Nähe haben dürften. Verliert ein schwach
besetzter „Stützpunkt“ auch nur wenige Mitglieder (beispielsweise durch Austritt aus
den JN, Ausstieg aus der rechtsextremistischen Szene oder durch Wegzug) kann
das schon die Auflösung des „Stützpunktes“ bedeuten, während im Gegenzug be-
reits der Eintritt von wenigen Jugendlichen in die JN zu einer „Stützpunkt“-
Neugründung führen kann.
(Quelle unter anderem: Bericht „Stützpunktgründung der JN in Esslingen-Reutlingen“, Homepage des JN-
Landesverbandes Baden-Württemberg vom 19. November 2008. Außerdem wurden auf der
Homepage des baden-württembergischen JN-Landesverbandes mit Stand 16. Dezember 2008
noch Stützpunkte im Bereich Bodensee mit Postfach in Friedrichshafen, in Göppingen mit Post-
fach in Geislingen, in Heilbronn, in Karlsruhe, in Konstanz mit Postfach in Singen, im Bereich
Ostalb, in Schwäbisch Hall, Stuttgart und Ulm/Heidenheim aufgelistet.
Aktivitäten und Außenwirkung
Die JN fuhren im Jahr 2008 ihre Demonstrationstätigkeit in Baden-Württemberg deut-
lich zurück. Die Organisation trat gerade zweimal (2006 und 2007: je siebenmal),
nach Mitte Februar 2008 – sieht man von einer letztlich verbotenen JN-
Demonstration am 16. August in Biberach ab – sogar überhaupt nicht mehr, als
Demonstrationsveranstalter in Erscheinung. Folgt man der Selbstdarstellung der ba-
den-württembergischen JN auf ihrer Internetseite, haben sie im Laufe des Jahres
2008 dennoch relativ zahlreiche und vielfältige Veranstaltungen und Aktionen durch-
geführt, von denen die beiden JN-Demonstrationen nur die besonders öffentlich-
keitswirksame Spitze des Eisbergs bildeten. Außerdem nahmen baden-
württembergische JN-Vertreter an Veranstaltungen der Mutterpartei oder anderer
Rechtsextremisten teil, vereinzelt auch in anderen Ländern oder im Ausland.
Wie andere Rechtsextremisten entfalten auch die JN eine Vielzahl ihrer Aktivitäten
unter anderem aus Sorge vor Störung durch politische Gegner ganz bewusst nur in-
tern, also ohne Außenwirkung, unter sich und auf sich selbst bezogen, höchstens
zusammen mit anderen Rechtsextremisten. Daher wird eine derartige Aktivität auch
nicht bereits im Vorfeld einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht, sondern al-
lenfalls im Nachgang im Internet darüber berichtet. An internen Aktivitäten veranstal-
teten die baden-württembergischen JN beziehungsweise deren einzelne „Stützpunk-
te“ 2008 nach eigenen Angaben neben dem bereits erwähnten Landeskongress zum
Beispiel zu Beginn des Jahres 2008 eine „Neujahresfeier“ in Schwäbisch Hall, am
26. Januar 2008 eine „Rednerveranstaltung mit anschließendem Balladenabend“
sowie vorangegangener Aktivisten-Schulung bei Aalen, am 9. Februar 2008 eine
„Après-Ski Party“, „Mitte Juni“ 2008 eine zweitägige „Kaderschulung“ in Rosenberg-
Hohenberg/Ostalbkreis, Anfang August 2008 ein Zeltlager im Raum Schwäbisch Hall, im Herbst 2008 eine Klausurtagung des baden-württembergischen JN-
Landesvorstandes im bayerischen Landkreis Ansbach und am 22. November 2008
einen weiteren Landeskongress in Rosenberg-Hohenberg. Derartige interne
Veranstaltungen dienen – das geht aus den entsprechenden Berichten auf der ba-
den-württembergischen JN-Homepage immer wieder klar hervor – unter anderem
der ideologischen Indoktrination und Selbstvergewisserung der Teilnehmer sowie der
Schaffung beziehungsweise Aufrechterhaltung von Kameradschaft, Zusammenhalt
und Gemeinschaftsgefühl innerhalb der JN. Nicht zuletzt aber dienen sie auch als
kurzzeitige, kollektive mentale Flucht aus einer von den JN zutiefst abgelehnten
westlich-modernen, demokratischen Gegenwart, gegen deren Einflüsse man hofft,
sich auch langfristig in der verschworenen Gemeinschaft Gleichgesinnter abschotten
und immunisieren zu können. So heißt es in dem JN-Internetbericht über das JN-
Zeltlager von Anfang August 2008 im Raum Schwäbisch Hall mit „etwa 40“ Teil-
nehmern:
„Aus allen Teilen Baden-Württembergs sind sie gekommen, um (…)
im Kreise alter und neuer Kameraden Kraft zu tanken für den tägli-
chen Kampf gegen den ganz normalen Wahnsinn in dieser Republik.
(…) ‚Gemeinschaft leben’, so heißt (…) das Motto des arbeitsintensi-
ven Wochenendes (…). Am Ende des Zeltlagers wird jeder Teilneh-
mer alle Arbeitsgruppen im Rotationsprinzip durchlaufen haben, um
gestärkt und mit neuen Eindrücken und Ideen den politischen Kampf
in Zukunft noch effektiver und professioneller führen zu können. Der
Samstagmittag dient indes dem kulturellen Aspekt in Form des Er-
kundens der paradiesischen Umgebung des Schwäbisch Haller Hin-
terlandes – weit weg von Überfremdung, Globalisierung und Deka-
denz, dort wo die Welt zumindest auf den ersten Blick noch in Ord-
nung zu sein scheint. (…) Nach dem Einholen der Fahne stellen sich
alle Teilnehmer im Kreis auf und fassen sich gegenseitig an den Armen. Eine feierliche Stimmung kehrt ein, als ein Kamerad das Wort ergreift und mit bewegenden Worten die Bedeutung von Kamerad-
schaft und Zusammenhalt betont, die uns auch in stürmischen Zeiten
bei der Fahne halten werden und Grundlage all unseres Handelns
sind. Nur in der geschlossenen Gemeinschaft kann der Einzelne im
Einklang mit den Anderen die Kraft entwickeln, die er braucht, um im
Ringen um eine Zukunft für unser Volk und unsere Nation nicht zwi-
schen die Mühlräder des Systems zu geraten.“ Dem Bericht zufolge
treten die Teilnehmer des Zeltlagers die Heimreise nicht an, „ohne
einmal mehr das Gefühl erneuert zu haben, mit dem eigenen Denken
und Handeln zum Wohle von Volk und Heimat das Richtige zu tun,
egal wie der Ungeist der Zeit auch darüber richten mag.“
Derartigen internen Aktivitäten wurde 2008 innerhalb der baden-württembergischen
JN offenbar ein hoher Stellenwert eingeräumt. So äußerte der baden-
württembergische JN-Landesvorsitzende, Lars GOLD aus Rosenberg/Ostalbkreis
auf dem JN-Landeskongress am 2. März 2008 nach JN-Angaben sinngemäß:
„die politische Schulungsarbeit innerhalb des Landesverbandes wer-
de im neuen Jahr weiter intensiviert werden, ebenso wie gemeinsa-
me Ausflüge, Zeltlager und sonstige Aktivitäten, die das Gemein-
schaftsgefühl innerhalb der JN im Ländle weiter stärken und vertiefen
sollen.“
Bei derselben Gelegenheit führte GOLD laut JN-Landeshomepage in Bezug auf das
Jahr 2007 aus, dass „man zwar deutlich weniger überregionale Demonstrationen
durchgeführt“ habe, „dafür hätten jedoch umso mehr dezentrale und kreative Aktio-
nen stattgefunden, die auch in der Systempresse für regelmäßige Präsenz und Re-
sonanz sorgten.“ GOLD „betonte in diesem Zusammenhang die Wichtigkeit regel-
mäßiger politischer Arbeit vor Ort, die oftmals mehr Wirkung entfalte als eine lan-
desweite Demonstration.“315 Der am 2. März 2008 von GOLD vorgenommenen Rela-
tivierung der Bedeutung von „landesweite[n]“, „überregionale[n] Demonstrationen“
dürfte es unter anderem geschuldet sein, dass im Jahr 2008 die Zahl der JN-Demonstrationen insgesamt in Baden-Württemberg sichtbar zurückging. Daneben
setzten die baden-württembergischen JN jedoch auch 2008 wieder auf eine Vielzahl
der von GOLD offenbar favorisierten dezentral-regionalen, öffentlichkeitswirksamen,
nach außen auf ein breiteres Publikum gerichteten Propagandaaktionen, mit denen
sie auf sich und ihre rechtsextremistischen Positionen oft provokativ aufmerksam
machen und letztlich auch neue Sympathisanten und Mitglieder werben wollen. So
setzten die JN nach eigenen Angaben eine bereits im Dezember 2007 gestartete
Kampagne gegen einen Moscheebau in Neckarsulm/Krs. Heilbronn samt eigener
Kampagnehomepage auch im Januar 2008 fort.316 Laut baden-württembergischer
JN-Homepage veranstalteten die Landes-JN beziehungsweise deren einzelne „Stütz-
punkte“ zudem etwa am 22. März 2008 eine „Umfrageaktion“ im „Rahmen der bun-
desweiten NPD- und JN-Aktionstage unter dem Motto ‚Sozial geht nur national!’“ in
Friedrichshafen und am 30. März 2008 eine Flugblattaktion „zu verschiedenen ak-
tuellen politischen Themen“ in Schwäbisch Hall. Am 8. Mai 2008, dem 63. Jah-
restag des Endes des Zweiten Weltkrieges in Europa, säuberten nach JN-Angaben
Angehörige des „Stützpunktes“ Heilbronn ein Denkmal in der Stadt und verteilten
dabei „über 1000“ Flugblätter.318 Zum Streben der baden-württembergischen JN
nach einer öffentlichkeitswirksamen Propagandaarbeit zählt auch, dass der Landes-
verband bereits seit Jahren immer wieder eigene Flugblätter und Aufkleber verbrei-
tet.
Bereits seit Jahren sorgen rechtsextremistische Aktivitäten in einer ehemaligen
Brauereigaststätte in Rosenberg-Hohenberg/Ostalbkreis für öffentliches Aufsehen.
Die Immobilie war bereits im Jahr 2004 von einem österreichischen Rechtsextremis-
ten erworben worden. Danach wurde sie Sitz eines rechtsextremistischen Verlages.
Ihr Besitzer avancierte später zum stellvertretenden baden-württembergischen NPD-
Landesvorsitzenden. Der NPD-Landesverband richtete in dem Objekt 2007 eine ei-
gene Landesgeschäftsstelle ein. Im Jahr 2008 wurden Verkaufsverhandlungen zwi-
schen dem Eigentümer und der Gemeinde aufgenommen, die in den Abschluss ei-
nes Kaufvertrags mündeten. Mit einem Eigentümerwechsel ist im Laufe des Jahres
2009 zu rechnen.
Wie andere Rechtsextremisten entfalten auch die JN eine Vielzahl ihrer Aktivitäten
unter anderem aus Sorge vor Störung durch politische Gegner ganz bewusst nur in-
tern, also ohne Außenwirkung, unter sich und auf sich selbst bezogen, höchstens
zusammen mit anderen Rechtsextremisten. Daher wird eine derartige Aktivität auch
nicht bereits im Vorfeld einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht, sondern al-
lenfalls im Nachgang im Internet darüber berichtet. An internen Aktivitäten veranstal-
teten die baden-württembergischen JN beziehungsweise deren einzelne „Stützpunk-
te“ 2008 nach eigenen Angaben neben dem bereits erwähnten Landeskongress zum
Beispiel zu Beginn des Jahres 2008 eine „Neujahresfeier“ in Schwäbisch Hall, am
26. Januar 2008 eine „Rednerveranstaltung mit anschließendem Balladenabend“
sowie vorangegangener Aktivisten-Schulung bei Aalen, am 9. Februar 2008 eine
„Après-Ski Party“, „Mitte Juni“ 2008 eine zweitägige „Kaderschulung“ in Rosenberg-Hohenberg/Ostalbkreis, Anfang August 2008 ein Zeltlager im Raum Schwäbisch Hall, im Herbst 2008 eine Klausurtagung des baden-württembergischen JN-Landesvorstandes im bayerischen Landkreis Ansbach und am 22. November 2008
einen weiteren Landeskongress in Rosenberg-Hohenberg. Derartige interne
Veranstaltungen dienen – das geht aus den entsprechenden Berichten auf der ba-
den-württembergischen JN-Homepage immer wieder klar hervor – unter anderem
der ideologischen Indoktrination und Selbstvergewisserung der Teilnehmer sowie der
Schaffung beziehungsweise Aufrechterhaltung von Kameradschaft, Zusammenhalt
und Gemeinschaftsgefühl innerhalb der JN. Nicht zuletzt aber dienen sie auch als
kurzzeitige, kollektive mentale Flucht aus einer von den JN zutiefst abgelehnten westlich-modernen, demokratischen Gegenwart, gegen deren Einflüsse man hofft,sich auch langfristig in der verschworenen Gemeinschaft Gleichgesinnter abschottenund immunisieren zu können.
NPD ist als neonazistisch zu bezeichnen
Die NPD, die in Teilen inzwischen selbst als neonazistisch ausgerichtet be-
zeichnet werden muss, bemüht sich bereits seit Jahren und nicht ohne Erfolg
auch um einen Schulterschluss mit der bislang mehr oder minder parteiunab-
hängigen Neonaziszene, was in der von ihr seit dem Jahr 2004 betriebenen
„Volksfront“-Strategie zum Ausdruck kommt. Dabei nimmt sie Neonazis nicht
nur als einfache Mitglieder in ihre Reihen auf, sondern wählt auch überregio-
nal bis bundesweit bekannte Neonazi-Kader in hohe Parteifunktionen. So wa-
ren im Jahr 2008 mit Thorsten HEISE und Jürgen RIEGER zwei bundesweit
bekannte Neonazis Mitglieder im NPD-Bundesvorstand. RIEGER wurde auf
dem NPD-Bundesparteitag, der am 24. und 25. Mai 2008 in Bamberg statt-
fand, sogar zu einem von drei stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Partei
gewählt.262 An der Spitze der baden-württembergischen NPD besteht eine
ähnliche personelle Konstellation: Seit 2007 ist der Neonazi Andreas THIER-
RY einer von aktuell zwei stellvertretenden baden-württembergischen NPD-
Landesvorsitzenden. THIERRY taucht bereits seit 2004 (2004 bis 2006 als
Mitglied im „Wissenschaftlichen Beirat“, seit 2006 als „Verantwortlicher Schrift-
leiter“ und seit 2007 als Mitglied der „Schriftleitung“) im Impressum der neona-
zistischen, vom in Rosenberg-Hohenberg/Ostalbkreis ansässigen „Verlags-
und Medienhaus Hohenberg OHG“ herausgegebenen Zeitschrift „Volk in Be-
wegung & Der Reichsbote“ (ViB) auf, in der er zudem seit Jahren Artikel
publiziert. Mit einem der stellvertretenden bayerischen NPD-Landesvor-
sitzenden ist ein weiterer relativ hochrangiger NPD-Funktionär seit 2006 Mit-
glied der ViB-„Schriftleitung“.
Der offen und zum Teil mit Erfolg angestrebte Schulterschluss der NPD mit
der Neonaziszene bleibt für die Partei ein zweischneidiges Schwert: Einerseits ist die personelle Verzahnung zwischen NPD und Neonaziszene grundsätzlich
dazu geeignet, im Zusammenspiel mit den beiderseitigen ideologischen
Schnittmengen das zumal in der Vergangenheit immer wieder angespannte
gegenseitige Verhältnis zu verbessern, was wiederum das Ansehen und damit
die Einflussmöglichkeiten der Partei unter den Neonazis erhöht. Andererseits
birgt die unverhohlene Annäherung an die Neonaziszene, deren Personenpo-
tenzial trotz seit Jahren steigender Tendenz immer noch sehr überschaubar ist
und der NPD nur einen relativ geringen Wähler- und Mitgliederzuwachs be-
scheren würde, die Gefahr, potenzielle Mitglieder oder Wähler abzuschrecken,
die nicht diesem härtesten Kern des deutschen Rechtsextremismus zuzurech-
nen sind. Und auch im Verhältnis zwischen der NPD, deren Vordenker gerade
in den letzten Jahren verstärkt auf das Erscheinungsbild der Partei in der Öf-
fentlichkeit bedacht sind, und den Neonazis, die selten willens oder in der La-
ge sind, ihren ideologischen Fanatismus wenigstens nach außen zu zügeln,
zeigen sich immer wieder Sollbruchstellen. Die wiederholten Distanzierungen
führender Nationaldemokraten gegenüber den neonazistischen „Autonomen
Nationalisten“ sind nur ein Beleg dafür.266 Dieses Konfliktpotenzial offenbarte
sich zum Beispiel auch aus Anlass des Todes von Friedhelm BUSSE (23. Juli
2008), eines NPD-Mitgliedes und früher führenden Protagonisten der Neona-
ziszene. Zwar drückte die Partei umgehend ihre Trauer aus.267 Mit VOIGT und
einem der stellvertretenden NPD-Bundesvorsitzenden nahmen zwei hochran-
gige Parteivertreter an BUSSEs Beerdigung am 26. Juli 2008 in Passau teil.
Als bei dieser Beisetzung der Neonazi Thomas WULFF, ein ehemaliges NPD-
Bundesvorstandsmitglied, dem Sarg BUSSEs eine Reichskriegsflagge mit ins
Grab gab, was zu staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wegen des Verwen-
dens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen führte,268 sah sich
die NPD-Führung zu einer offiziellen Distanzierung von der Aktion WULFFs
veranlasst. In einer auf seiner Sitzung am 31. Juli 2008 verabschiedeten „Er-
klärung“ missbilligte das NPD-Präsidium die Aktion als „‚den Versuch Einzel-
ner, das letzte Geleit für Friedhelm Busse durch die Beisetzung der verbote-
nen Reichskriegsflagge des Dritten Reiches für eine politische Selbstinszenie-
rung zu instrumentalisieren, die nicht im Einklang mit den Zielen der NPD’“ stehe. Es entstehe „‚zunehmend der Eindruck, daß die volkstreue Opposition
durch derartige Provokationen systematisch diskreditiert werden’“ solle. Die
NPD stehe hingegen „‚für einen modernen, der Zukunft zugewandten Nationa-
lismus. Der Einsatz für ein sozial gerechtes Deutschland, für die Wiederher-
stellung von nationaler Solidarität, Identität und Souveränität’“ bedürfe „‚keiner
leeren Provokationen von Selbstdarstellern und – unabhängig von ihrer even-
tuellen Strafbarkeit – keiner Symbolik von gestern.’“269 Erwartungsgemäß ern-
tete diese „Erklärung“ des NPD-Präsidiums heftige Kritik aus der Neonazisze-
ne, teils aber bezeichnender Weise auch aus der eigenen Partei.
Die Partei DVU
Aktivitäten
Auch 2008 entwickelte der baden-württembergische DVU-Landesverband wieder nur
geringe Aktivitäten. Von den DVU-Stammtischen in Aalen/Heidenheim, Heilbronn,
Schwäbisch Hall und Stuttgart, die im Laufe des Jahres 2008 auf der DVU-
Bundeshomepage und in der NZ beworben wurden297, geht, soweit sie überhaupt
stattfinden, keine Außenwirkung aus. Nur selten führt die Partei darüber hinaus in
Baden-Württemberg Veranstaltungen durch, die dann zudem in der Regel ebenfalls
keine ernsthafte Außenwirkung entfalten. So wurde nach DVU-Angaben am 2. März
2008 in Stuttgart eine Veranstaltung durchgeführt, an der auch der in Bayern wohn-
hafte baden-württembergische DVU-Landesvorsitzende, Walter BAUR, teilgenom-
men habe.298
Heimattreue Deutsche Jugend
„Heimattreue Deutsche Jugend e.V.“ (HDJ)
Gründung: 1990
Sitz: Berlin
Mitglieder: ca. 25 Baden-Württemberg
ca. 500 Bund
Publikation: „Funkenflug“
Internetauswertung vom 20. und 21. November 2008.
Berichte „Kein Vertrauen mehr in das politische System BRD“ und „Erfolgreiche Informationsaktion
in Schwäbisch Hall“, Homepage des JN-Landesverbandes Baden-Württemberg vom 14. November
2008.
Bericht „8. Mai: Junge Nationalisten reinigen Heilbronner Trümmerfrauen-Denkmal“, Homepage
des JN-Landesverbandes Baden-Württemberg vom 14. November 2008.
Strukturelle Rahmendaten
Die „Heimattreue Deutsche Jugend e.V.“ (HDJ)319 ist eine parteiunabhängige neona-
zistische Kinder- und Jugendorganisation. Ihre Mitgliederzahl lag 2008 in Baden-
Württemberg bei circa 25, in Deutschland insgesamt bei circa 500. Laut Darstellung
auf der vereinseigenen Homepage verfügt die HDJ über ein bundesweites, allerdings
sehr weitmaschiges Netz an offiziellen Organisationsstrukturen, bestehend aus vier
so genannten „Leitstellen“ („Nord“, „Mitte“, „Süd“ und „West“), die sich wiederum in
insgesamt zehn so genannte „Einheiten“ gliedern. Die Weitmaschigkeit dieser offi-
ziellen HDJ-Organisationsstrukturen ergibt sich schon daraus, dass die HDJ allein
ihren „Leitstellen Nord“ und „Mitte“ einen Zuständigkeitsbereich von jeweils fünf Bun-
desländern zuschreibt, während diese beiden „Leitstellen“ jedoch nur je drei „Einhei-
ten“ umfassen. Die „Leitstelle Süd“ mit Postfach im bayerischen Alzenau ist für die
Bundesländer Baden-Württemberg und Bayern zuständig und umfasst die „Einheit
Schwaben“ und die „Einheit Franken“.320
„Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V.“ (HNG)
Gründung: 1979
Sitz: Frankfurt am Main
Mitglieder: ca. 50 Baden-Württemberg (2007: ca. 60)
ca. 600 Bund (2007: ca. 600)
Publikation: „Nachrichten der HNG“
Die „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V.“
(HNG) ist die langlebigste und mitgliederstärkste Einzelorganisation in der deutschen
Neonaziszene, für die vor dem Hintergrund der zahlreichen Verbote neonazistischer
Vereinigungen in den 90er-Jahren feste Organisationsstrukturen wie die der HNG
eigentlich untypisch geworden sind. In ihren Aktivitäten ist die HNG absolut speziali-
siert: Sie verfolgt den selbst gestellten Auftrag, inhaftierte Gesinnungsgenossen un-
ter anderem durch Rechtsberatung, Überlassung rechtsextremistischer Literatur und
Vermittlung von Briefkontakten moralisch und materiell zu unterstützen, um sie auch
während der Haftzeit sozial und ideologisch weiter an die rechtsextremistische Szene
zu binden und somit die staatlichen Ausstiegsangebote zu unterlaufen.
Ansonsten erschöpfen sich Aktivitäten und Bedeutung der HNG in der monatlichen
Veröffentlichung ihrer 20-seitigen, 2008 im 30. Jahrgang erscheinenden Publikation
„Nachrichten der HNG“ und in der jährlichen Abhaltung einer Jahreshauptversamm-
lung, die 2008 am 26. April mit circa 120 Teilnehmern in Großrinderfeld/Main-
Tauber-Kreis stattfand. Mit Jürgen RIEGER sowie Thomas WULFF traten zwei bun-
desweit und mit Andreas THIERRY aus Rosenberg/Ostalbkreis auch ein landes-
weit bekannter Neonazi auf dieser Versammlung als Redner auf. Bei dieser Gele-
genheit wurde die seit 1991 als HNG-Vorsitzende amtierende Ursula MÜLLER aus
Mainz in ihrer Funktion bestätigt.
Jetzt fehlt noch der „ungefilterte Blick nach LINKS“:
Thema LINKSEXTREMISMUS:
z.B. der VVN-Bda der sich hier ja ab und zu auch zu Wort meldet und kritischer betrachtet werden sollte:
aus Verfassungsschutz Baden-Württemberg zur VVN-Bda:
„Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA)
Im Zentrum der politischen Arbeit der linksextremistisch beeinflussten VVN-BdA steht seit ihrer Gründung im Jahr 1947 der Gedanke des „antifaschistischen Kampfes“. In diesem Zusammenhang unterstellt sie ganz im Geiste des orthodox-marxistischen Faschismusverständnisses einen untrennbaren Zusammenhang zwischen Faschismus und dem Kapitalismus bürgerlich-demokratischer Systeme und immer wieder eine vermeintliche Kontinuität „faschistischer“ Strukturen in der Bundesrepublik Deutschland.
Zur politischen Agitation der VVN-BdA gehört auch die immer wiederkehrende Gleichsetzung der politischen Situation in Deutschland mit derjenigen in den letzten Jahren vor der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933. Staatliche Institutionen werden dabei bezichtigt, gegen die Verfassung zu handeln, faschistische Tendenzen zu tolerieren und zu fördern, erneut auf Kriegskurs zu gehen und einem neuen Nationalismus bei gleichzeitigem Aufrüsten zum autoritären Überwachungsstaat zu frönen.
Die Organisation selbst präsentiert sich als Sammelbecken für Menschen unterschiedlicher politischer Herkunft, die sich gemeinsam im Sinne des „Antifaschismus“ betätigen wollen. So verschreiben sich viele Personen einem „antifaschistischen“ Engagement in der VVN-BdA, ohne damit zugleich kommunistische Grundpositionen zu vertreten. Diese wissen möglicherweise nicht um die Gefahr politischer Instrumentalisierung. Letzteres gilt ebenso für (potenzielle) bürgerliche Bündnispartner, die durch ein Zusammenwirken mit der VVN-BdA faktisch deren Wunsch nach gesellschaftlicher Akzeptanz entgegenkommen.
Lieber Demokratiefreund,
vielen Dank für deine Zuschrift: Die von dir angeführte Passage über die VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten e.V.) kann ich im Verfassungsschutzbericht 2008 über die VVN-BdA so nicht finden.
Bei der Zusammenstellung der Textpassagen in Hohenlohe-ungefiltert habe ich als Autor jeweils als Suchbegriff Namen von Ortschaften in der Region Hohenlohe und dem angrenzenden Umland eingegeben. Dabei sind die dokumentierten Texte über rechtsextreme Parteien und Gruppierungen erschienen, die ich in Hohenlohe-ungefiltert „ungefiltert“ dargestellt habe.
Mit freundlichen Grüßen
Ralf Garmatter, Hohenlohe-ungefiltert
Der Vollständigkeit halber hänge ich unten den Textabschnitt des Verfassungsschutzberichts Baden-Württemberg 2008 an, der sich mit der VVN-BdA befasst:
4.3 „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten e.V.“ (VVN-BdA)
Gründung: 1947
Sitz: Berlin
Publikationen: „antifa. Magazin für antifaschistische Politik und Kultur“
„AntiFa Nachrichten“ (Baden-Württemberg)
350
Hier und im Folgenden: UZ Nr. 29/30 vom 18. Juli 2008, S. 2.
213
Die politische Linie der linksextremistisch beeinflussten VVN-BdA folgt noch immer
einem kommunistischen Faschismusverständnis, das im Kern bereits Mitte der 30er
Jahre des 20. Jahrhunderts formuliert worden ist. Diesem zufolge ist der Faschismus
die „offen terroristische Diktatur“ des „Monopol-“ beziehungsweise „Finanzkapitals“.
Dem „Faschismus“ komme eine funktionelle Bedeutung zu, indem er in Zeiten der
Krise des kapitalistischen Systems zur Herrschaftssicherung eingesetzt werde, wenn
die Herrschaftsform der bürgerlichen Demokratie zum Machterhalt nicht mehr ausrei-
che.
Das Fortbestehen dieser Sichtweise auch im baden-württembergischen Landesver-
band zeigen offizielle Äußerungen wie die, dass es seitens der Regierung anschei-
nend „ein Interesse an Faschismus in der Reserve“351 gebe. So konstatierte der Lan-
desverband eine „Rechtsentwicklung in Deutschland“352 mit Parallelen zur „Vorge-
schichte der faschistischen Diktatur Ende der zwanziger Jahre“. Ähnlich wie am En-
de der Weimarer Republik würden „auch heute wieder Konzepte einer entsolidarisier-
ten und überwachten Gesellschaft, eines entdemokratisierten und autoritären Staa-
tes und einer militärisch gestalteten Außenpolitik gedacht und gemacht.“ Weiter hieß
es:
„In der deutschen Außenpolitik wird eine gefährliche Kontinuität des
deutschen Großmachtstrebens und des deutschen Militarismus
sichtbar.“
Militäreinsätze gegen den internationalen Terrorismus seien in Wirklichkeit ein
„Kampf um Märkte, Rohstoffe und Transportwege“, der sich in den Ölregionen der
Welt abspiele. Aus der vermeintlich unveränderten Gültigkeit und Aktualität dieses
Interpretationsschemas, aus dem sich angeblich Anzeichen einer neuerlichen Ent-
wicklung in Richtung „Faschismus“ in Deutschland ablesen ließen, leitet die VVN-
BdA bis heute ihre eigene Unentbehrlichkeit als „antifaschistische“ Organisation ab.
Das „Faschismus“-Verständnis der VVN-BdA wird durch führende Funktionäre immer
wieder in die Öffentlichkeit transportiert. So formulierte Ulrich SANDER, einer ihrer
Bundessprecher und gleichzeitiges Mitglied in der DKP und der Partei „DIE LINKE.“,
351
„AntiFa Nachrichten“ Nr. 2 vom Juli 2008, S. 6.
352
Hier und im Folgenden: „AntiFa-Nachrichten“ Nr. 2 vom Juli 2008, Beilage „Aufstehen! gegen
Überwachung, Krieg und Nazis“; Übernahme wie im Original.
214
Ende Januar 2008 in einem Rückblick auf die „Machtübertragung an die Nazis“ und
deren Folgen“353:
„Trotz vieler guter Ansätze konnten die richtigen Lehren auch nach
1945 nicht gezogen werden.“
Die Bonner Republik habe „die Linken entweder weitgehend zur Anpassung zwingen
oder andererseits unterdrücken“ können. In der Gegenwart drohe „kein neues 1933
mit Faschismus gehabter Prägung.“ Aber es drohe „ein Staat, wie er ebenfalls vor
1933 bereits konzipiert“ worden sei. Weiter äußerte SANDER, man müsse sich heute
„faschistische Politik oder doch hochgradig autoritäre Politik von rechten Regieren-
den vorstellen können, die in Koalitionen eingebunden“ seien. Diese Vorstellung falle
„nicht schwer“, wenn man sich „Roland Kochs Wahlkampf und Schäubles Sicher-
heitspolitik“ ansehe. „Eine solche Politik“ berge „die Gefahr des Umschwungs in pro-
faschistische Regierungsformen“, sie könne „aber auch in kontrollierter Form auftre-
ten.“ Und weiter legte er dar:
„Doch den inneren Zusammenhang zwischen Großkapital, Konzer-
nen und der äußersten Rechten – auch der Militaristen – zu erkennen
– und diesen auch zu begreifen -, das ist die historische Erfahrung
der Gründer der VVN. Sie gilt, auch unter den Vorzeichen des ‚Neo-
liberalismus’.“
Die Landesvereinigung Baden-Württemberg der VVN-BdA hielt am 14. und 15. Juni
2008 in Stuttgart ihre 37. Landeskonferenz ab. Im Rückblick auf ihre politische Tä-
tigkeit wurde insbesondere die aktive Rolle der VVN-BdA in „antifaschistischen“
Bündnissen als positiv und erfolgreich benannt.
Die Bilanz fiel insgesamt zwiespältig aus. Überdeutlich drängen sich Nachwuchs-
und Personalprobleme gerade für die baden-württembergische Landesvereinigung in
den Vordergrund, seit sie in den letzten beiden Jahren nicht nur weitere ehemalige
Widerstandskämpfer, sondern mit dem Tod dreier aktiver Funktionäre der zweiten
Generation „tragende Säulen“ der landes-, aber auch bundespolitischen Arbeit verlo-
353
Hier und im Folgenden: Vortrag „75 Jahre danach – Zur Machtübertragung an die Nazis und den
Folgen“; Internetauswertung vom November 2008; Übernahme wie im Original.
215
ren hat. Diese Verluste aufzufangen, fällt der Landesvereinigung erkennbar schwer.
Damit wird die in den letzten Jahren bereits forcierte Mitgliederwerbung für die VVN-
BdA nicht nur vor dem Hintergrund einer chronisch angespannten Haushaltslage,
sondern vor allem zur Gewinnung neuer Aktivisten zu einer zentralen Frage für das
künftige politische Wirken.
Die VVN-BdA kündigte die Absicht an, sich innerhalb des „antifaschistischen Interna-
tionalismus“ zusammen mit der Friedensbewegung gegen Krieg und NATO engagie-
ren zu wollen. Dazu zählte bereits die Beteiligung an der Demonstration vom
20. September 2008 in Stuttgart gegen die Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes
der Bundeswehr. Dazu gehört perspektivisch die Unterstützung der Proteste gegen
den NATO-Jubiläumsgipfel im April 2009 in Straßburg (Frankreich) und Baden-
Baden (Deutschland).
Das Motto des verabschiedeten umfangreichen Leitantrags der Landeskonferenz
„Aufstehen! Gegen Überwachung, Krieg und Nazis“ bezeichnet die – jeweils für sich
genommen unproblematischen – Schlüsselbegriffe eines politischen Programms, das
unverändert in letzter Konsequenz auf eine andere Staats- und Gesellschaftsord-
nung abzielt. Dies umfasst zunächst das Vorgehen gegen Rechtsextremisten, zu
dem, wie die scheidende Landesprecherin betonte, auch die „Verteidigung der De-
mokratie“ gehöre, die von der Bundesregierung „durch verfassungswidrige Militarisie-
rung nach Innen – schrittweise in einen totalitären Überwachungsstaat umgewandelt“
werde. Diese angebliche „Militarisierung nach innen“ korrespondiert nach Lenins Im-
perialismustheorie mit der „Militarisierung nach außen“. Kampf gegen Krieg und
„Überwachungsstaat“ bedeutet faktisch Kampf gegen das „imperialistische System“.
Nach kommunistischer Lesart ist zudem mit „Verteidigung der Demokratie“ nicht et-
wa eine Wertschätzung dieser Staatsform als solche gemeint, sondern die Möglich-
keit der Ausnutzung der in der Demokratie garantierten Rechte und Freiheiten für
den Kampf für den Sozialismus.
Nicht nur die Warnung vor einem angeblich systematisch angestrebten „Überwa-
chungsstaat“ oder die ausdrückliche Nichtdistanzierung von Gewaltausübung gegen
Rechtsextremisten, sondern auch Grußworte anwesender Vertreter der DKP und der
Partei „DIE LINKE.“ bei der Stuttgarter Landeskonferenz zeigen die unverändert
linksextremistisch dominierte Sichtweise der VVN-BdA sowie ihre Einbindung in das
216
linksextremistische Spektrum bis hin zur autonomen Szene. Das Referat der Bun-
destagsabgeordneten der Partei „DIE LINKE.“, Ulla JELPKE, zum Thema „Orwell
lässt grüßen! ‚Innere Sicherheit’ als Vorwand für Demokratieabbau“ war offenbar ei-
ner der Höhepunkte der Konferenz.
Auch die Ausführungen eines Landessprechers354 in der linksalternativen „Stattzei-
tung für Südbaden“ zum Thema „Totalitarismusdoktrin – Wiederauferstehung eines
Feindbildes des Kalten Krieges“ 355 zeigen exemplarisch, dass sich die VVN-BdA
ideologisch nach wie vor in orthodox-kommunistischen Bahnen bewegt. Die Totalita-
rismustheorie vergleicht Diktaturen von „rechts“ und „links“, ohne zu bestreiten, dass
es trotz auffallender Parallelen Unterschiede gibt. Kommunisten hingegen stellen
kapitalistische und sozialistisch/kommunistische Systeme einander gegenüber und
lehnen den Vergleich zwischen Diktaturen ab. So bezeichnet auch der Landesspre-
cher der VVN-BdA in seinem Beitrag die „Totalitarismusdoktrin“ als „ideologische(s)
Werkzeug“ aus der Zeit des Kalten Krieges. Sie und damit die „Gleichsetzung von
Faschismus und Kommunismus“ sei erfunden worden, um nach 1945 „dem platten
Antikommunismus ein Mäntelchen umzuhängen“. Auch heute, „nach dem Zusam-
menbruch der realsozialistischen Systemalternative“, erfülle die Totalitarismusthese
unter anderem den Zweck, die „Militarisierung aller Lebensbereiche“ bei gleichzeiti-
ger Entsorgung unangenehmer Erinnerung an die Vergangenheit als Normalität zu
vermitteln. Zudem solle mit ihr ein „bewährtes Feindbild“ wieder belebt werden, das,
ausgedehnt auf Terrorismus und Islamismus, „als Rechtfertigung für den Abmarsch
in einen autoritären Überwachungsstaat“ diene. Die „antidemokratische Rolle“ des
Rechtskonservatismus als Mitte der Gesellschaft werde verschleiert, „die Formierung
der Gesellschaft nach Rechts durch Verdummung und durch Spaltung des Wider-
stands“ werde erleichtert und der „Gedanke(n) an eine gesellschaftliche Alternative
zum real existierenden Kapitalismus“ werde als „Bestrebung zur Errichtung einer
kommunistischen Diktatur“ verteufelt.“ Eine „Systemalternative“ solle damit als „un-
denkbar“ erscheinen.
Die Auseinandersetzung mit der Totalitarismusthese, die aus linksextremistischer
Perspektive auf der Basis nicht des Vergleichs zwischen Nationalsozialismus und
Kommunismus, sondern zwischen Kapitalismus und Sozialismus und damit konkret
354
Beide Landessprecher der VVN-BdA wurden neu gewählt.
355
Hier und im Folgenden: „Stattzeitung für Südbaden“, Ausgabe 72 vom August 2008.
217
zwischen der ehemaligen DDR und der Bundesrepublik betrieben wird, fügt sich in
die Sichtweise auch der Bundesorganisation der VVN-BdA nahtlos ein, wie auf deren
Bundeskongress am 24./25. Mai 2008 in Berlin deutlich wurde. Nina HAGER, die
stellvertretende Vorsitzende der DKP, deren Vorfeldorganisation356 die VVN-BdA bis
zum Ende der DDR war, konnte dort unwidersprochen die nach ihrer Meinung „un-
geheuerliche Behauptung“ zurückweisen, „die DDR sei die zweite deutsche Diktatur
nach 1933 bis 45“ gewesen.357 Der Bundesvorsitzende der VVN-BdA, Prof. Heinrich
FINK358, nahm die DDR ausdrücklich gegen den Vorwurf des „staatlich verordneten
Antifaschismus“ in Schutz und betonte in dieser Frage vielmehr deren Vorbildcharak-
ter mit den Worten:
„Würde es in der Bundesrepublik wenigstens einen staatlich verord-
neten Antifaschismus geben, bräuchten wir nicht für ein NPD-Verbot
zu kämpfen.“359
In diesem Denkmuster war es nur logisch, dass FINK die VVN-BdA-Mitglieder dazu
aufrief, sich nicht „von Kommunisten und radikalen Linken“ zu distanzieren. Eine als
Delegierte auf dem Kongress gleichfalls vertretene Bundestagsabgeordnete der Par-
tei „DIE LINKE.“ sprach sich unwidersprochen „für eine verstärkte Zusammenarbeit
mit autonomen Antifaschisten“ aus und forderte, diese „als engagierte Bündnispart-
ner anzuerkennen“. Nach Darstellung der VVN-BdA beschrieb FINK in seiner Rede
die sicherheitspolitischen Maßnahmen zum Schutz des G8-Gipfels im Jahr 2007 ge-
gen gewaltbereite Störer als „Kriminalisierung des demokratischen Protestes“, als
„bisher nicht gekannten Angriff auf die Bürgerrechte“ und „Zäsur in der Geschichte
des Landes“. Die beschlossenen Maßnahmen und Gesetzesvorhaben der Bundes-
regierung in Reaktion auf die Sicherheitslage wurden in der politischen Sichtweise
des Kongresses zu einer „geschürten Anti-Terror-Hysterie“, aufgrund derer „an brei-
ter Front in einem nie da gewesenen Maße demokratische Grundrechte ausgehöhlt“
würden. Die „innerstaatliche Militarisierung Deutschlands“ und der „Weg zum Über-
wachungsstaat“ müssten gestoppt werden.
356
Kommunistisch gesteuerte, formal unabhängige Organisation, in der auch Nichtextremisten
mitarbeiten.
357
Internetauswertung vom 17. Oktober 2008.
358
FINK war zu DDR-Zeiten Theologie-Professor an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin und als
Informeller Mitarbeiter „Heiner“ für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR tätig.
359
Hier und im Folgenden: Internetauswertung vom 5. Juni 2008.
218
Der Kongress nahm auch mit „Empörung“ die Ablehnung der Forderung nach einer
Entschädigung für „kommunistische Widerstandskämpfer“ als Opfer des Nationalso-
zialismus durch alle Fraktionen des Deutschen Bundestages (außer der Partei „DIE
LINKE.“) am 8. Mai 2008 zur Kenntnis. Indem in diesem Zusammenhang von „den
kommunistischen Widerstandskämpfern, die sowohl unter Hitler wie Adenauer poli-
tisch verfolgt wurden“, die Rede war, setzte die VVN-BdA nicht nur Hitler und Ade-
nauer gleich, sondern unterstellte dem deutschen Staat zugleich Willkür gegenüber
politischen Gegnern.