„Gelochte Augenblicke“ – Eine Fortsetzungsgeschichte von Birgit Häbich: Der Episoden erster Teil. Die geschilderten Handlungen, Personen und Namen sind frei erfunden. Es werden keine realen Namen von Personen angegeben. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten, lebenden oder toten Personen wären rein zufällig, und sind weder gewollt noch beabsichtigt.
Von Birgit Häbich
I Loch
… noch einmal las er die Worte, auf dem für ihn mittlerweile verhassten Schild, setzte sich dann rittlings auf das rechte Rohr der Installation, welches man ungefragt und unerlaubter Weise, mit Ketten, fest an zwei Rohren befestigt, tief und unverrückbar in die Erde seines Vorgarten gepflockt hatte. Für diese simple Tätigkeit im Freien hatte er sich eine seiner alten abgeschossenen hellen Sommerleinenhosen angezogen. Ein Seitenschneider, Zangen aller Art und eine alte Kiste für den flegelhaften Unrat, waren schon bereitgelegt. Durch diese unwürdige Haltung inspiriert, meldete sein Gesäß eine zu kleine und unkomfortable Sitzfläche an. Carl Eugen Friedner jedoch, ignorierte die Regung aus den tieferliegenden Gegenden seines Leibes, seine anderen oben und blank liegenden
Nerven machten es nicht mehr mit – heute würde er dem Treiben ein Ende setzen.
Jeden Tag aufs Neue die Inschrift dieses vermaledeiten Schildes lesen zu müssen, war zu viel für ihn:
„ANSCHEINEND GILT A BEI DR RECHTSVERDREHER – GUTMIADICHKEIT VERHILFT ZUR LIADRICHKEIT!“, stand da in fett gedruckten schwarzen Druckbuchstaben auf weißem Grund.
Grinsende Gesichter
In letzter Zeit hatte es sich im Städtle herumgesprochen, dass dieses Schild seinen Eingangsbereich zierte. Und nun wurde er laufend gefragt, warum denn das da stehen würde. Nachbarn, die seit Jahrzehnten nicht mehr mit ihm sprachen, fanden auf einmal den Mut ihn, scheinbar besorgt, darauf anzusprechen. Carl befand sich mit der deutlichen Anklage auf diesem Schild wieder im Mittelpunkt des kleinstädtischen Interesses. Dieser neue Umstand schmeichelte anfänglich seiner Eitelkeit und er gab da gern ausführliche Auskunft über die Bewandtnis. Das hämische Grinsen der Fragenden jedoch, übersah Carl ganz und gar. Denn er wusste es ja wie eh und je besser und meinte die nach seiner Meinung allseits herrschende Dummheit aus den grinsenden Gesichtern herauslesen zu können.
Rechtsverdreher
Als die blöde Fragerei nicht nachließ, sich sogar Auswärtige in seinem Vorgarten versammelten, um über den Inhalt des Schildes zu diskutieren und auch noch Fotografen und Fotografinnen angereist kamen, um dieses Schild verschiedentlich abzulichten, gedachte er das Schild mit der Aufschrift: „ANSCHEINEND GILT A BEI DR RECHTSVERDREHER – GUTMIADICHKEIT VERHILFT ZUR LIADRICHKEIT!“, umgehend verschwinden zu lassen. Da letzthin klingelte nämlich sogar ein, ihm von früher bekannter, Schreiberling der Hohenloher Nachrichten bei ihm. Der fragte dann mit gänzlich unschuldigem Gesichtsausdruck an, ob Carl Eugen ihm vielleicht ein Interview zu der beredten Anklage in seinem Garten geben würde. Mit dem Gefühl vollkommen verkannt im Rampenlicht zu stehen, knallte Carl seine Haustüre vor dem verdutzten Journalisten zu und beschloss, diese Posse nicht weiter zu dulden – diese schriftliche und grottenfalsche Anklage würde er nun abmontieren und damit höchstpersönlich niederschmettern.
Blut
Nachdem er die Kette zwischen dem ihm gegenüberliegenden linken Pflock und dem Schild in den scharfen Zangengriff seines nagelneuen Seitenschneiders genommen hatte, drückte Carl mit aller ihm zur Verfügung stehenden Gewalt mit beiden Händen fest zu. Um der Kraft in seinen Armen und im Oberkörper entsprechenden Nachdruck zu verleihen, hob er seinen Hintern an und beugte sich angestrengt nach vorne. Das leise reißende Geräusch, als ob Stoff zerrissen würde, nahm er nur nebenbei wahr. Carl hatte ein scharfkantiges abstehendes Drahtstück übersehen, welches sich ihm nun in die Hose gebohrt hatte. Trotz aller Anstrengungen bekam Carl Eugen aber die Befestigung nicht durchtrennt und wollte sich schon wieder in die unbequeme Sitzposition zurückbegeben, als er sah dass sich sein rechtes Beinkleid hellrot verfärbte. Er richtete sich auf, hielt weiterhin
den Seitenschneider in der linken und tastete mit der rechten Hand an dem alten abgewetzten Hosenstoff entlang. Überlegend, wo wohl auf einmal so viel Blut herkommen sollte, sah er aufmerksam an sich hinab. Er bemerkte beim Abtasten nicht nur den länglichen Riss im Stoff seiner Hose, sondern spürte dahinter ein minimales aber unaufhörliches pulsierendes Loch in der Innenseite seines Oberschenkels.
Leben retten
Dunkel dämmerte es ihm aus seinen Erstehilfekursen längst vergangener Zeiten herauf, dass die Verletzung einer Arterie ein hohes Risiko birgt ziemlich schnell zu verbluten. Die Verletzung einer Arterie erkenne man daran, dass ein pulsierender, ja spritzender starker Blutaustritt geschehe. Weiterhin sei sofort ein Arzt zu rufen und die Blutung zu stillen. Die starke Ausblutung müsse aber, bis zum Eintreffen eines Arztes, durch rigoroses Abbinden oberhalb der Verletzung Richtung Rumpf, und durch starkes Pressen mit einem Verbandsmull auf die Wunde verhindert werden. Nun war weder eine Schnur oder eine andere Schlinge zur Hand um sich das Bein selbst abzubinden, noch lag da ein Päckle mit hygienischem Verbandsmull in seiner sorgsam vorbereiteten alten Kiste. Er überlegte ob er mit seinem mobilen Gerät einen Notarzt rufen könnte und rechnete nach, ob dieser es schaffen würde, ihn und sein Leben noch zu retten. Blutungen der Beinarterie führen in der Regel nach wenigen, höchstens aber nach sieben Minuten zum sicheren Tod. Und wenn er schreien würde, laut und deutlich, würden die Nachbarn ihn erhören? Würden vielleicht Passanten auf dem Gehweg anhalten um ihm zur Hilfe zu eilen? Was aber, wenn sich keiner um ihn scherte?
Carl Eugen Friedner fühlte sich augenblicklich schwach und erschrak zu Tode – er hatte sich wegen diesem Schild die Beinschlagader aufgerissen …
Fortsetzung folgt.
spannend und schlimmer als bei Filmen, wo in solchen Situationen Werbung eingespielt wird, hört die Geschichte hier auf; geht gar nicht!