„Gelochte Augenblicke“ – Eine Fortsetzungsgeschichte von Birgit Häbich: Der Episoden fünfter Teil

„Gelochte Augenblicke“ – Eine Fortsetzungsgeschichte von Birgit Häbich: Der Episoden fünfter Teil. Die geschilderten Handlungen, Personen und Namen sind frei erfunden. Es werden keine realen Namen von Personen angegeben. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten, lebenden oder toten Personen wären rein zufällig, und sind weder gewollt noch beabsichtigt.

Von Birgit Häbich

V Bruch

… Während Carl Eugen noch über sich selber und sein baldiges Ableben in sinnige Gedanken vertieft war, zogen Bilder zur Beisetzung Vorderscheins in ihm auf. Da waren erstaunlich wenige Leute gekommen. Aber nicht etwa weil die Familie darum gebeten hätte, oder es durch die leidige Karinakrise, eine der laufend geänderten Verordnungen es so gewollt hätte, nein, sondern einzig und allein, weil der in allen Fällen auf trügerische Geschichten programmierte Kerl sich weit und breit keinen guten Namen gemacht hatte. Man mied ihn sogar im Tod.

Unterkühlt

Carl war der Steuerberater der Familie und des bauforscherischen Büros von Holger Balduin Vorderschein. Und seit der Gatte verblichen war, schüttete Frau Vorderschein ihm in letzter Zeit ziemlich detailliert ihr Herz aus. Früher war Carl Eugen Friedner gern auf ein Schwätzle zu ihr in den Laden in der Kreisstadt gekommen. Aber mit seinem zunehmend schlechten Gewissen, wegen der Schandtat gegenüber Paula, wurden ihm die unvermeidlichen Begegnungen mit den Vorderscheins immer unangenehmer. Balduin Holger Vorderschein hatte seine Frau Heike einst wegen ihrer beträchtlichen Erbmasse geehelicht. Die Familie nahm den Prinzgemahl jedoch recht unterkühlt im Schoße der Familie auf. Vorderschein rieb sich die Hände und zeugte willig die von ihm erwartete Nachkommenschaft. Die mit Architekten und Vermögen gesegnete Familie von Heike würde ihm neben der monetären Sicherheit den passenden Hintergrund für die zu sanierenden Denkmäler geben, welche er sich anzueignen gedachte. Und später sollten sich halt seine Söhne willfährig zeigen, sein Werk fortzuführen. Sie durften passende Studiengänge hinter sich bringen, um seine unmäßigen Vorstellungen von der Ausschlachtung historischen Grundbesitzes in der Kreisstadt zu erfüllen.

Entgangene Trophäe

Vor seinem Ableben war zum einen der einst arg unschön hergerichtete Pulverturm der ehemaligen Stadtmauer Richtung Bahnhof im Gespräch. Das andere ziemlich lukrative Objekt war bereits mit einem Gerüst und einer daran befestigten riesigen Plakatwand verhüllt und lag auf der gegenüberliegenden Seite der malerischen Altstadt, direkt am Kocher. Vorderschein bekam damals, als man Paula erfolgreich übers Ohr gehauen hatte, das im Zentrum des Limpurger Landes gelegene ehemalige Feldsiechenhaus, für den symbolischen Preis von einem Euro, zugeschanzt. Carl Eugen Friedner fragte sich, ob es vielleicht ein schlechtes Omen war, dass in der einstigen Residenzstadt der Mannesstamm des Hauses Limpurg erloschen war? Die letzten Schenken hinterließen nämlich im Jahr Siebzehnhundertdreizehn ihrerzeit, halt bloß an der Zahl, zehn Töchter. Vorderscheins Ansinnen blieb es insgeheim im historischen Schulmeisterhaus mitten in der Kreisstadt zu residieren. Der Umstand, dass dieses damals an andere am Betrug Beteiligte gegangen war, plagte ihn bis zum Schluss wie ein eitriges Geschwür. Jeden Tag, sobald er das Gebäude am Kocher betrat, für welches die ordentliche Genehmigung vorlag, es zu vollkommen überteuerten Luxuswohnungen umzubauen, blickte er zu der einst entgangenen Trophäe hinüber und ärgerte sich über den vermeintlichen Verlust.

Billig musste es sein

Der neidische Hochstapler war in allem und jedem, vor allen Dingen, begehrend für sich. Galt es ohne Gegenleistung anderen zu helfen oder gar etwas zu teilen, übte er äußerste Zurückhaltung aus. In dieser Art sich zu geben, führte er folgerichtig auch seinen bauforscherischen Betrieb. Nicht nur, dass er die Entlohnungen so gering als nur möglich hielt, er sparte vermeintlich auch dort, wo es gefährlich war. Unter welchen Bedingungen für ihn gearbeitet wurde, interessierte ihn in keinster Weise. Billig musste es sein – und das um jeden Preis. So fehlten auf den Baustellen und in seiner kleinen Werkstatt bei sämtlichen Maschinen und Geräten die dringend nötige
und regelrechte Ausstattung. Das Wort Fürsorge war ihm genauso fremd wie das Vokabular im technischen Sicherheitsschutz.

Geiz

Carl musste trotz seiner eigenen misslichen Lage kichern. Vorderschein kam nämlich durch seine verlotterte Haltung und seinen unermesslichen Geiz zu Tode, als dieser Balduin Holger auf seiner Baustelle nicht achtgab. Im ersten Stock waren zwei junge Gesellen grad an der mobilen Tischkreissäge beim Leisten schneiden. Vorderschein plärrte sie grußlos an, dass das doch einer alleine machen könne und der andere schon lang anfangen hätte können, die geschnittenen Leisten im anderen Stockwerk anzubringen. Die beiden gehorchten, der Säger sägte weiter. An der Säge waren weder ein Spaltkeil noch eine Schutzabdeckung montiert. Weil nun der andere die Stäbe mit dem Schiebestock nicht mehr nach unten drückte und sie kurz nach dem Durchtrennen, neben dem Sägeblatt zur Seite schob, flitzten sie jetzt eben von den aufsteigenden Sägezähnen angetrieben nach oben weg oder am Anschlag zurück und landeten irgendwo hinter dem Sägenden. Der andere tat wie ihm geheißen und hob einen tüchtigen Arm voll schmaler eichener Stäbe vom Boden auf und machte sich auf den Weg ins darüber liegende Stockwerk.

Eingestaubter Leichnam

Vorderschein, dem wie üblich düster zumute war, gedachte sich in die nahe gelegene Konditorei am Roten Steg zu setzen und sich einen Kaffee und ein prächtiges Stück Kuchen dazu zu gönnen und den innehabenden Konditormeister in ein Gespräch zu verwickeln. Beim Hinausgehen drehte er sich nocheinmal um, blickte auf den Säger und sah den munter durch den Raum fliegenden Leisten zu. Befriedigt darüber, dass sich der fleißige Kerl nachher wegen jeder einzelnen eichenen Leiste würde bücken müssen, ging ein schadenfrohes Grinsen über sein Gesicht. Später, als die Untersuchungen zum Unglückshergang stattfanden und man das mit Blut und Gehirnmasse verschmierte und mit Sägemehl überzogene Gesicht Vorderscheins reinigte, um zu sehen, was noch übrig war, fragte man sich, wie in Anbetracht der Gefahr einer derart zufrieden lächelnd sterben konnte. Die beiden Burschen wagten es bis zum Mittag nicht, sich von ihren zugewiesenen Arbeitsplätzen wegzubewegen. Sie bekamen gar nicht mit, dass eine der Flugleisten Vorderschein, mit voller Wucht, seitlich ins Gesicht traf. Dabei wurde das Jochbein zertrümmert und das jeweils angrenzende Keilbein und das Stirnbein gebrochen. Die eichene Leiste hatte den Schädel neben seinem rechten Auge geöffnet und sich dort ins Gehirn gebohrt. Man hätte ihm da noch helfen können, dachte Carl Eugen Friedner mit einem Anflug von Mitleid. Das wäre aber nur möglich gewesen, wenn sofort ärztliche Hilfe geholt und der Verletzte in ein berufsgenossenschaftliches Spezialkrankenhaus geflogen worden wäre. Da der Despot aber seinen Willen durchgesetzt hatte und die dummen Buben sogar noch seinen Anweisungen folgten, bemerkte man den eingestaubten Leichnam erst zufällig beim feierabendlichen Zusammenkehren …

Fortsetzung folgt.

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