Die Lage der Pressefreiheit in Deutschland hat sich im Jahr 2021 in der Gesamtbewertung von Reporter ohne Grenzen (RSF) leicht verschlechtert. In der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit 2022 belegt Deutschland Rang 16. Damit liegt das Land zwar weiterhin im oberen Mittelfeld der EU-Länder, setzt jedoch den im Vorjahr begonnenen Abwärtstrend weiter fort.
Von Reporter ohne Grenzen (RSF)
Gewaltsame Attacken
Ein zentraler Grund: Die Ablehnung unabhängiger Medien durch Teile der Gesellschaft entlud sich 2021 noch häufiger in gewaltsamen Attacken – und das mehrheitlich im Kontext von Protest gegen die Corona-Maßnahmen. Während mit 65 Fällen die Aggressivität bereits im Jahr 2020 sehr hoch war, verzeichnete RSF 2021 insgesamt 80 Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten.
Bei Demonstrationen im „Querdenken”-Milieu
Die Mehrheit dieser Angriffe (52 Fälle) ereignete sich bei Demonstrationen im „Querdenken”-Milieu. Dabei klagten Betroffene über mangelnde Unterstützung durch die Polizei. Beamte, die in unmittelbarer Nähe standen, hätten oft weder eingegriffen noch seien sie ihnen zu Hilfe gekommen. Bei vielen entstand ein Gefühl, von der Polizei nicht geschützt, sondern „allein gelassen“ oder gar zusätzlich bedroht zu werden.
Mit Schlagstöcken oder mit dem Strahl eines Wasserwerfers
Es wurden zwölf Fälle registriert, in denen Polizistinnen oder Polizisten selbst die Presse angriffen, zum Beispiel mit Schlagstöcken oder mit dem Strahl eines Wasserwerfers, der gezielt auf als „Presse” gekennzeichnete Personen gerichtet wurde. Nicht in die Zählung eingeflossen sind Behinderungen wie Platzverweise und Durchsuchungen durch die Polizei. Auf sich warten lässt indes die überfällige Neufassung der „Verhaltensgrundsätze zwischen Presse und Polizei“, die beidseitig Rechte und Pflichten regelt.
Anfeindungen und Drohungen
Hinzu kommt eine Vielzahl nicht einzeln erfasster Fälle, in denen Journalistinnen und Journalisten bedrängt oder bedroht und an der Ausübung ihrer Tätigkeit gehindert wurden. Medienschaffende, die kritisch zu „Querdenken“ veröffentlichten, erlebten teils bis ins private Umfeld hinein Anfeindungen und Drohungen. Häufig wurden Kameraausrüstungen beschädigt oder gänzlich zerstört. Bei den Gesetzesvorhaben des Jahres 2021 begrüßt RSF, dass die Schutzwürdigkeit von Journalistinnen und Journalisten stärker als bisher berücksichtigt wurde, hält die Regelungen aber weiterhin für unzureichend.
Überwachung durch Spyware Pegasus
Besorgniserregend ist auch die Cybersicherheitsstrategie der Bundesregierung, die eine Ausweitung der Befugnisse für Sicherheitsbehörden vorsieht. 2021 wurde zudem bekannt, dass Deutschland, anders als zunächst behauptet, die Spyware Pegasus nutzt. Nach Recherchen des internationalen „Pegasus-Projekts“ wurden bisher rund 200 Journalistinnen und Journalisten aus 20 Ländern Ziel einer Überwachung durch Pegasus.
Auskunftsrechte nicht gestärkt
2021 erfolgte Änderungen im Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) und beim neuen Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität stärken zwar den Schutz der persönlichen Daten von Medienschaffenden, stellen dafür aber weiter zu hohe Hürden auf. Eine Stärkung des Auskunftsrechts gegenüber Bundesbehörden hatte die Große Koalition auf dem Programm, sie wurde jedoch auf Betreiben der Unionsparteien nicht umgesetzt.
Abnehmende Pressevielfalt bei Tageszeitungen
Sorge bereitet weiterhin die abnehmende Pressevielfalt bei den Tageszeitungen. Hier machten sich die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie bemerkbar. Bei Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten wurde Anfang 2022 der Abbau von 20 Prozent der redaktionellen Stellen angekündigt. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk erfuhr mit dem Verfassungsgerichtsurteil vom Juli 2021 eine Stärkung: Die vom Land Sachsen-Anhalt blockierte Beitragserhöhung wurde verfügt. Die geplante Reform des Auftrags von ARD, ZDF und Deutschlandradio und ihrer Struktur steht allerdings weiter aus.
Link zum ganzen RSF-Artikel „Nahaufnahme Deutschland: Pressefreiheit im Überblick“: