Die „Verwüstung“ historischer Innenstädte hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) am 5. August 2009 in einem Artikel angeprangert. Der Autor Diethart Kerbs nahm sich dabei vor allem den „Fall Bad Mergentheim“ zur Brust. „Wie lange lassen wir uns die Verwüstung noch gefallen?“, fragte der Autor in der Unterzeile seines Kommentars. Der FAZ-Artikel blieb offensichtlich nicht ohne Wirkung. Wenige Tage später zogen zwei potenzielle Investoren für die Bad Mergentheimer Innenstadt, Wolfgang von Stetten (Residenz Taubertal) und die Bekleidungskette C&A, ihre Pläne für die Gebäude am Marktplatz 12 und 14 in Bad Mergentheim zurück.
Von Ralf Garmatter, Hohenlohe-ungefiltert
Wolfgang von Stetten: Die Koordinaten stimmen nicht
Beinahe wären wieder zwei historische Gebäude einem modern gestalteten Kaufhaus zum Opfer gefallen. „Die Koordinaten stimmen nicht“, zitierte die Tauber-Zeitung am 12. August 2009 aus einer E-Mail-Mitteilung des Investors Wolfgang von Stettens vom Vortag. Der TZ-Redakteur, Claus Peter Mühleck, vermutet, dass „der Investor“ damit „offensichtlich die Konsequenzen aus dem in nicht-öffentllicher Sitzung gefassten Beschluss des Gemeinderats vom 21. Juli gezogen hat“. Dieser habe vorgesehen, die Umsiedlung des Eiscafés Europa vom Marktplatz 12 ins Zwillingshaus Marktplatz 3 (bisher städtisches Tourismusbüro) dadurch zu ermöglichen, dass das städtische Zwillingshaus verkauft wird.
Wolfgang von Stetten: Ansiedlung von C&A ist in erster Linie im Interesse der Stadt
„Die Ansiedlung eines Textilhauses wie C&A ist in erster Linie im Interesse der Stadt Bad Mergentheim (…)“, meint Wolfgang von Stetten in seiner Erklärung weiter. Laut Tauber-Zeitung fand der Bad Mergentheimer Oberbürgermeister Lothar Barth drastische Worte, als er an seinem Urlaubsort in Holland von der neuesten Entwicklung in Bad Mergentheim hörte. „Die Stadt bedauert es sehr, dass einige arbeitslose und unterbeschäftigte Architekten es geschafft haben, den Investor zum Rücktritt zu bringen. Das ist hochbedauerlich und für Bad Mergentheim ganz klar eine Niederlage“, wird Barth von der TZ zitiert. Der OB kritisierte damit vor allem den Architekten-Arbeitskreis Stadtgestaltung. Da werde aus „falsch verstandener Historientreue die Entwicklung einer ganzen Stadt kaputt gemacht“, meint Barth.
Historischer Gasthof ade – Moderner Betonblock folgt
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung kritisierte in ihrem Artikel über Bad Mergentheim eigentlich ein anderes Projekt der Residenz Taubertal GmbH. Das Gemeinschaftsunternehmen des Seniorenresidenzen-Betreibers Wolfgang von Stetten und der Künzelsauer Baufirma Bäumlisberger will dort ein „Stadthaus Grüner Baum“ errichten, wo mehr als 300 Jahre lang der Gasthof Grüner Baum gestanden hatte. 1791 nächtigte dort in der Mergentheimer Altstadt sogar der Komponist Ludwig van Beethoven. Im Frühjahr 2009 wurde das einst denkmalgeschützte Gebäude zusammen mit zwei benachbarten Häusern abgerissen. Entstehen soll dort nun ein „viergeschossiger Betonblock mit mit neun Balkonen und drei Satteldächern, der grün, weiß und rot gestrichen werden wird“, wie die FAZ schreibt. „Drei intakte barocke Bürgerhäuser sind für den geplanten Neubau abgerissen worden“, beklagt FAZ-Autor Kerbs die fragwürdige Baupolitik der hohenlohischen Bäderstadt. „Die Frage ist, wie lange die Bürger sich das gefallen lassen.“ In Bad Mergentheim seien sich die Investoren ihrer Sache so sicher gewesen, dass sie am 29. April 2009 sogar ein Abschiedsfest im leerstehenden Grünen Baum veranstalteten, nachdem sie die beiden benachbarten Häuser „bereits niedergestreckt hatten“. Die Einschätzung von Diethart Kerbs: Im Nachhinein wirkt dies wie eine unwillentlich zynische Siegesfeier jenes permanenten Eroberungskriegs der Investoren gegen die „desolate Bausubstanz“ der Altstädte, die das, was einen Ort attraktiv macht, unter die Gewalt derjenigen bringt, die mit den Bauprojekten nur ihr Kapital profitabel vermehren wollen. „Noch drei oder vier solcher Neubaukomplexe im Zentrum und Bad Mergentheims historischer Kern wird zur Neustadt“, schloss der FAZ-Autor seinen Verriss über die verfehlte Bad Mergentheimer Baupolitik.
Große Gewölbekeller und Café Europa bleiben erhalten
Mit dem Rückzug der Investoren Wolfgang von Stetten und C&A konnte nun ein erstes Projekt der unerwünschten Art verhindert werden. An den Häusern Marktplatz 12 und 14 – direkt neben dem Rathaus – sind vor allem die großen historischen Gewölbekeller von besonderer baugeschichtlicher Bedeutung. Diese wären dem Bekleidunghaus zum Opfer gefallen. Viele Bad Mergentheimer freuen sich nach dem Rückzug der Investoren auch darüber, dass mit dem Café Europa ein beliebter Treff am bisherigen Standort im Stadtkern erhalten bleibt. Nicht nur die Bad Mergentheimer Architekten sind gespannt, welches historische Gebäude in welcher Stadt sich der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang von Stetten nun für sein Projekt „Innenstadt-Kahlschlag“ aussucht.
Hallo,
als reaktion auf diese abrissgeschichte in Bad Mergentheim fällt mir der vorschlag des gemeinderates – in dem hr. Bäumlisberger mitglied ist – in Künzelsau ein. Dort soll wohl ein teil des Honigzipfels neubauprojekten weichen. Alte bausubstanz, die schon seit mehr als 10 jahren der stadt gehört, soll neu bebaut und neu geplant werden. Erst nachdem die initiative „Rettet den Honigzipfel“ in den letzten monaten darauf aufmerksam gemacht hat und die geminderatswahlen zu einer verschiebung der mehrheiten geführt hat – die CDU hat massiv verloren, Christian von Stetten MdB, ist auch darin vertreten – sieht es momentan nach keiner schnellen umsetzung der abrissplanung aus.
Mit der bebauung dieser fläche direkt von der kocherseite her würde Künzelsau eines seiner letzten möglichen schönen aushängeschildere beraubt.
Sehen wir mal, ob der investor oder die allgemeinheit gewinnt.