Statt der Idylle des Landlebens mit schmucken Bauernhäusern nun braune Vergangenheit? Die Freilichtmuseen des Landes wagen den Spagat. Sie wollen wissen, wie die Bewohner dieser Häuser das Dritte Reich erlebt haben. Welche Geschichten haben sich auf dem Dorf während der Nazizeit ereignet? Der Südwestrundfunkautor Christopher Paul hat darüber einen halbstündigen Dokumentarfilm gedreht – teilweise auch mit Zeitzeugen im Freilandmuseum Schwäbisch Hall-Wackershofen. Sein Film „Hakenkreuze über dem Dorfplatz – Die NS-Zeit auf dem Land“ wird am Samstag, 29. August 2009, von 18.15 bis 18.45 Uhr im SWR-Fernsehen (Drittes Programm/Landesschau unterwegs) gezeigt.
Ankündigung der Sendung im Südwestrundfunk (SWR)
Vom Leben auf den Dörfern unter den Hakenkreuzen wusste man eher wenig
Die Propaganda missbrauchte gerade das Bild des deutschen Bauern für eigene Zwecke. Die NS-Zeit auf dem Dorf, das sind auch Geschichten der Menschlichkeit, als Juden auf dem Käshof versteckt wurden. Es sind Geschichten vom Gasthaus Roter Ochsen, dessen Wirt als Kreisbauernführer seine Macht im Dorf skrupellos ausnützte. Die braune Zeit ist geprägt von Kinderlandverschickung und Zwangsarbeit, von Unterschieden zwischen katholischen und evangelischen Dörfern. Die Geschichten der Museumshäuser und deren ehemalige Bewohner werden dadurch lebendig. Denn die NS-Zeit und die Kriegsfolgen waren bisher eher ein städtisches Thema. Vom Leben auf den Dörfern unter den Hakenkreuzen wusste man eher wenig.
Info: Eine Wiederholung des Films läuft am Montag, 31. August 2009, um 8.30 Uhr im SWR-Fernsehen
Einen siebenminütigen Zusammenschnitt der Sendung gibt es im Internet unter http://www.swr.de/landesschau-unterwegs/-/id=122290/did=5170730/pv=video/gp1=5306952/nid=122290/1sz6918/index.html
Anmerkung von Ralf Garmatter, Redaktion Hohenlohe-ungefiltert: Großen Anklang hat die Premierenvorstellung des Films am heutigen Freitag, 28. August 2009, um 14 Uhr im Freilandmuseum Wackershofen gefunden. Über 60 Besucher spendeten dem Autor Christopher Paul, der SWR-Redaktion sowie den anwesenden Zeitzeugen der Dokumentation lange und laut Applaus für ihren Mut, den Film zu machen sowie die klaren Worte gegen Krieg und Gewalt. Etwas befremdlich wirkte bei der Diskussion nach der Premierenvorführung der Beitrag eines ehemaligen Wehrmachtssoldaten, der das erste von zehn Geboten der Wehrmacht und den Fahneneid auf Adolf Hitler auswendig vortrug – warum er das tat und was er damit ausdrücken wollte, war von dem alten Mann nicht zu erfahren. Sein Vortrag – ich unterstelle dem alten Mann keine bösen Absichten – zeigt aber, wie präsent die Propagandasprüche der Nationalsozialisten bei manchen Menschen dieser Generation noch nach über 60 Jahren sind.
Buch zur Ausstellung Dorf unterm Hakenkreuz erschienen (Verlagsangaben):
Unter dem Titel „Dorf unterm Hakenkreuz – Diktatur auf dem Land im deutschen Südwesten 1933-1945“ ist im Mai 2009 ein Buch der sieben regionalen ländlichen Freilichtmuseen in Baden-Württemberg erschienen. Verlag: Thorbecke; Süddeutsche Verlagsgesellschaft Ulm, Bestellnummer: ISBN 978-3-37995-8044-1.
Die einzelnen Themenbeiträge dieses Sammelbandes zum Nationalsozialismus auf dem Dorf ergänzen und bereichern sich gegenseitig. Sie werfen Schlaglichter auf die Vielschichtigkeit und nicht selten Widersprüchlichkeit der nationalsozialistischen Diktatur, die über sechzig Jahre nach ihrem Ende immer noch Kontroversen und Debatten hervorruft. Es handelt sich um eine Publikation der sieben ländlichen regionalen Freilichtmuseen in Baden-Württemberg und ist konzipiert als Begleitbuch für die Ausstellungen zum Thema ‚Dorf unterm Hakenkreuz‘, die in den Freilichtmuseen im Jahr 2009 gezeigt werden.
Ausstellung „Dorf unterm Hakenkreuz“ im Freilandmuseum Wackershofen noch bis 8. November 2009 zu sehen (Beschreibung der Ausstellungsmacher):
Anhand vier originaler Gebäude zeigt das Hohenloher Freilandmuseum Ausschnitte aus dem Alltagsleben hier in der Region. Gerade dieses direkte Treffen auf eine Vergangenheit, die man hinter schönen Fachwerkfassaden nicht so vermuten möchte, lässt ein neues und intensives Licht auf diesen Teil deutscher Geschichte fallen – so wie es nur Freilichtmuseen mit ihren Hausexponaten können.
Im Gasthaus Roter Ochsen in Riedbach wohnte der Kreisbauernführer Friedrich Niklas
Den großen Gasthof „Roter Ochsen“ aus Riedbach bewirtschaftete ein Land- und Gastwirt, der schon vor 1933 Ortsgruppenleiter der NSDAP war und ab 1937 die Funktion eines Kreisbauernführers im damals neu geschaffenen Kreis Crailsheim ausübte. Das heutige Museumsgasthaus war also Sitz des Kreisbauernführers innerhalb des „Reichsnährstandes“, einer Funktion, die mit großer Machtfülle ausgestattet war.
Brechhütte Amlishagen – ein Beitrag zur angestrebten Autarkie
Beinahe alle Brechhütten draußen am Rand der Dörfer erlebten in den Dreißiger Jahren einen ungeahnten Aufschwung mit dem Anbau von Flachs und Hanf. Dieser „Gespinstpflanzenanbau“ wurde vehement gefördert, um vom Ausland unabhängig zu werden und weil der Bedarf an Leinenstoff für die militärische Aufrüstung stark zunahm. Im Freilandmuseum steht die unscheinbare Brechhütte aus Amlishagen, in der diese Entwicklung bis zur fabrikmäßigen Produktion nachgezeichnet wird.
Im Armenhaus Hößlinsülz tagte die Hitlerjugend
Das Armenhaus aus Hößlinsülz, 1988 in Wackershofen wieder aufgebaut, diente von 1936 bis 1944 als Heim der Hitlerjugend. Im Freilandmuseum wird in der früheren Wohnstube das HJ-Heim nach alten Überlieferungen wieder eingerichtet und auf die besondere Bedeutung der Hitlerjugend für den NS-Staat eingegangen. Hier wird dokumentiert, wie stark die NSDAP auf die weibliche und männliche Jugend im Sinne ihrer Ideologie propagandistisch Einfluss nahm.
Käshof in Weipertshofen diente Verfolgten als Versteck
Im Käshof aus Weipertshofen wird seit Jahren die Geschichte der verfolgten Ilse Rosenfelder erzählt. Sie hat sich, kurz bevor sie ins KZ abtransportiert werden sollte, auf diesem Bauernhof, der heute im Museum steht, bis zur Befreiung durch die Amerikaner versteckt. Anhand dieses Beispieles soll dem politischen Leben in der Ära des „Tausendjährigen Reiches“ nachgegangen werden – wer waren damals die Parteifunktionäre, wie viele waren NSDAP-Mitglieder?