Die Schwäbisch Haller Monatszeitschrift Alpha Press befragte in ihrer Doppelausgabe Juli/August 2009 Harald Ebner aus Kirchberg/Jagst, Bundestagskandidat der Partei Bündnis 90/Die Grünen.
Alpha Press-Interview mit Harald Ebner, Bundestagskandidat von Bündnis 90/Die Grünen
Mit welchen Problemen werden wir uns vorrangig nach den Wahlen konfrontiert sehen?
HARALD EBNER: Wir müssen die Krisen überwinden. Wir haben nicht nur eine Finanz- und Wirtschaftskrise, wir haben auch eine Klimakrise und eine weltweite Armuts- und Gerechtigkeitskrise. Dafür braucht es ein Gesamtkonzept, statt die eine gegen die andere Krise auszuspielen. Ich will es konkret machen: die Energiefrage ist eine extrem wichtige Zukunftsfrage. Bei der Atomkraft darf es keinen Ausstieg aus dem Ausstieg geben. Wir haben ein Konzept, das uns bis spätestens 2040 auf 100 Prozent erneuerbare Energien bringt und gleichzeitig Arbeitsplätze schafft. Wege aus der Wirtschaftskrise lassen sich nicht mit Strohfeuern a la Abwrackprämie finden. Das ist wirklich Geldverschwendung. Was jetzt an Geld ausgegeben wird, fehlt später, man kann es ja nicht zweimal ausgeben. Es wird damit die Chance vertan, bessere Autos mit weniger CO2-Emissionen zu fördern. Unser Ansatz ist: Wenn wir investieren, investieren wir in technologische Innovation und Nachhaltigkeit. Wir wollen eine Million neue Jobs in der mittelständischen Industrie im Bereich Umwelttechnologie, regenerative Energietechnologie, aber auch in den Bereichen Bildung und Soziales schaffen.
Möchten Sie, dass die Grünen das aus der Regierung heraus in Gang setzen? Das wirft die Frage nach den künftigen Regierungskonstellationen auf.
Grün kann auch aus der Opposition auf die gesellschaftlichen Prozesse wirken. Die Grünen waren die letzten vier Jahre in der Opposition und aus dieser Position haben wir die Zukunfts- und Lösungsthemen der gesellschaftlichen Diskussion gesetzt. Schauen wir doch beispielsweise auf die Parteiprogramme: Alle versuchen, etwas von dem grünen Kuchen abzuhaben. Die SPD hat Teile ihres Programms fast wörtlich aus dem der Grünen abgeschrieben. Das ist gut so, solange wenigstens die Druckfehler nicht auch noch übernommen werden. Das zeigt, dass man auch aus der Opposition heraus wirken kann. Es macht keinen Sinn, jetzt hinsichtlich der möglichen Konstellationen Sandkastenspiele zu machen. Wir haben unsere GRÜNEN Inhalte und Ziele, für die wir uns einsetzen. Jegliche Koalitionsverhandlungen müssen sich daran messen.
Nun wird ja das Kohlekraftwerk Morsburg in Hamburg mit grüner Zustimmung gebaut…
Falsch! Als die Grünen in Hamburg in die Regierung einstiegen, war das Genehmigungsverfahren schon so weit gediehen, dass da rechtlich nichts mehr dran zu drehen war. Wir sagen deshalb: Wir brauchen ein anständiges Umweltgesetzbuch. Es gibt im jetzigen Bundes-Immissionsschutzgesetz keine Festlegung des erlaubten CO2-Ausstoßes und damit keine Handhabe, die Genehmigung auf Grund der Klimaschädlichkeit zu versagen. Deshalb muss der Klimaschutz in ein Umweltgesetzbuch, das seinen Namen verdient, verbindlich aufgenommen werden.
Nun, das sehe ich etwas anders. Aber das können wir jetzt nicht weiter vertiefen. Kommen wir noch mal auf die letzte rot-grüne Regierung zurück. Die zeichnet bekanntlich für die Hartz-Gesetze, Ausweitung der Leiharbeit, Kriegseinsätze der Bundeswehr verantwortlich. Halten Sie es für möglich, dass eine künftige Bundesregierung mit Beteiligung der Grünen abermals Kürzungen im Sozialbereich beschließt?
Nein. Erstens: Wir haben gelernt aus Hartz IV und den Folgen.
Was?
Dass es nicht zumutbar ist. Hartz IV, so wie es gekommen ist, war nie grüner Wunsch. Wir sagen: Es darf nicht passieren, dass der Staat hier auf Kosten der„kleinen Leute“ weiter spart. Die Sätze sind zu niedrig und wir fordern in unserem Programm, dass sie auf 420 Euro (Anmerkung: pro Monat) erhöht werden. Wir setzen uns für eine Kindergrundsicherung für alle Kinder und eine Garantierente für alle ein. Dazu müssen wir das System vom Kopf auf die Füße stellen und eine solide Finanzbasis schaffen, was mit der Bürgerversicherung gelingen kann. Hier sollen nicht nur die Lohnempfänger, sondern jeder und jede einzahlen: Alle Einkommensarten, auch Kapitaleinkommen und das der Selbstständigen trägt dazu bei. Bei der Krankenversicherung haben wir den gleichen Ansatz. Jetzt sind wir in einer Situation, wo wir eine irre Staatsverschuldung haben. Deutschland hat eine Nettoneuverschuldung von 90 Milliarden Euro in diesem Jahr und Bürgschaften von 480 Milliarden Euro, das ist der doppelte Bundeshaushalt. Dieses Geld muss natürlich irgendwann zurückgezahlt werden. Wer jetzt angesichts dieser Situation von Steuersenkung redet, muss den Menschen sagen, womit er es finanzieren will. Das geht ja nur über Kürzungen bei den Sozialsystemen. Das machen wir nicht mit.
Meiner Meinung nach brauchen wir Steuererhöhungen – fragt sich nur für wen?
Wir wollen den Spitzensteuersatz auf 45 Prozent erhöhen, um eine gewisse Umverteilung von reich nach arm zu erreichen.
Was ist mit der Vermögenssteuer?
„Ja“ zur Vermögenssteuer – wobei wir sagen „begrenzt“.
Was heißt das?
Bündnis 90/DIE GRÜNEN wollen die Vermögenssteuer nicht jetzt einführen und bis Ultimo beibehalten, sondern eine Vermögensabgabe, die verfassungskonform ist. Mir persönlich wäre eine Vermögenssteuer lieber, aber sie ist verfassungsrechtlich fragwürdig. Die Vermögensabgabe hingegen nicht. Es geht darum, den jetzt angehäuften außergewöhnlichen Schuldenberg generationengerecht zu finanzieren. Langfristig wollen wir ein Steuersystem schaffen, das gerecht ist, in dem diejenigen mehr beitragen, die in guten Zeiten vom bisherigen System überdurchschnittlich profitiert haben. Dazu gehört auch eine angemessene und gerechte Erbschaftssteuer.
Bei jenen, die eine Vermögenssteuer befürworten, ist ein Prozent im Gespräch. Da bekommt der Milliardär, der sein Vermögen auf dem Sparbuch anlegt ja schon mehr raus!
Wenn er das Geld „auf dem Sparbuch“ hat, hat er Zinsgewinne und genau diese sind zu versteuern. Geht er aber mit seinem Vermögen in die Steueroase, bekommt der Staat ja auch über die Vermögenssteuer nichts. Das ist sowieso der GAU. Wenn wir die Steueroasen nicht austrocknen, haben wir ohnehin ein Problem. Also noch mal: Vermögenssteuer haben wir in unserem Programm – zeitlich begrenzt, als Vermögensabgabe. Und dann wollen wir eine Finanzumsatzsteuer. Das ist eine Art Mehrwertsteuer auf Finanztransaktionen. Das hat zwei Wirkungen: zum Einen wird Geld abgeschöpft, zum Anderen wird die Umschlaghäufigkeit solcher finanziellen Transaktionen verringert.
Nehmen wir mal an, die neue Bundesregierung macht eine erneute Runde des Sozialabbaus. Was machen Sie, wenn eine Regierung mit grüner Beteiligung die Hartz IV-Sätze nicht auf 420 Euro erhöht, sondern diese halbiert – so wie es ein paar Professoren schon gefordert haben?
Jeder von uns weiß, dass die gegenwärtigen Hartz IV-Sätze zu niedrig sind. Wenn ich sozialen Frieden will, muss ich auch für soziale Gerechtigkeit sorgen.
Und wenn ein grüner Regierungspartner dennoch eine Politik des Sozialabbaus mitträgt?
Die Gerechtigkeitsfrage ist eine der zentralen Zukunftsfragen unserer Gesellschaft. Die Lasten der Krise müssen gerecht verteilt werden, statt sie auf die Wehrlosen des Gesellschaft abzuwälzen. Das ist für uns genauso eine rote Linie wie der Atomausstieg.
Fordern Sie dann, dass die Grünen eine solche Regierung verlassen?
Das wird sicher zu einer solchen Situation führen.
Da haben wir ja mal zwei ‚lustige‘ Statements:
1. Zum Kohlekraftwerk Hamburg- Moorburg: „Falsch! Als die Grünen in Hamburg in die Regierung einstiegen, war das Genehmigungsverfahren schon so weit gediehen, dass da rechtlich nichts mehr dran zu drehen war.“
2. „Hartz IV, so wie es gekommen ist, war nie grüner Wunsch.“
Aha, so funktioniert also – im weichgezeichneten Rückblick – die ‚Grüne Welt‘. Wir wünschen uns was und wenn das dann halt nicht klappt, stimmen wir trotzdem dafür! (Siehe hierzu auch: „Als die Grünen die Heuschrecken fütterten“ http://www.hohenlohe-ungefiltert.de/?p=3929&cpage=1#comment-387)
Ein paar kleine Anmerkungen dazu:
Zu 1: Mit Sprüchen wie „Kohle von Beust“ hatten die Grünen Bürgermeister Ole von Beust im Wahlkampf scharf angegriffen und Stimmung gegen den Bau des Kraftwerkes gemacht. Sie haben das Kraftwerk zu einem ihrer zentralen Wahlkampfthemen erklärt und einen Baustopp gefordert.
Doch der Fehler ist nicht bei der Prüfung der Genehmigung für das Kraftwerk gemacht worden, sondern schon beim Ausarbeiten des Koalitionsvertrages: „Die zuständige Behörde entscheidet rechtlich über die Genehmigungs- und Erlaubnisanträge zum Bau eines Kohlekraftwerkes in Moorburg“ heißt es in der Vereinbarung. Was die Einschätzung der juristischen Situation um die Genehmigung für das Kraftwerk angeht, muss man der Hamburger Grünen-Spitze Blauäugigkeit vorwerfen. Da hilft auch der Verweis von GAL-Politiker Willfried Maier wenig, die Genehmigung sei schon eine Entscheidung der vorherigen Hamburger Koalition gewesen. Ganz im Gegenteil: Das ist etwas, was die Grünen schon vor den Beratungen zum Koalitionsvertrag hätten wissen müssen. [Man könnte also sagen: der Wahlkampf war von Anfang an verlogen!]
Die ganze Geschichte zeigt, dass die Grünen zum einen schlecht vorbereitet in die Koalitionsverhandlungen mit der Union gegangen sind; zum anderen wie leicht sie dazu zu bringen sind, zentrale Wahlversprechen und somit ihre Glaubwürdigkeit über Bord zu werfen.
Die Landesvorsitzende der Grün-Alternativen Liste (GAL), Anja Hajduk, hatte noch am 8. Januar im Hamburger Wahlkampf gegenüber der Financial Times Deutschland erklärt: „Es mag rechnerisch eine Mehrheit für dieses Bündnis geben, doch es passt inhaltlich nicht.“
http://www.stern.de/politik/deutschland/kohlekraftwerk-moorburg-der-suendenfall-der-gruenen-640765.html
http://www.klimawandel-global.de/klimaschutz/energiepolitik/wortbruch-grune-verlieren-an-glaubwurdigkeit-wegen-kohlekraftwerk-in-hamburg-moorburg/
Zu 2: „Nur der Grüne Werner Schulz hatte seine Enthaltung angekündigt. „Es gibt gruppendynamische Prozesse, dagegen bin ich möglicherweise resistenter“, sagt der frühere DDR-Bürgerrechtler. (…) Er begründet, warum er sich enthalten hat. Für die bestehende Situation in Ostdeutschland hätten die Gesetze „null Wirkung“. Dort gebe es Regionen, wo „auf 30 Bewerber eine offene Stelle kommt – was wollen Sie da noch vermitteln“. Er weiß, dass seine Kritik in der Fraktion nicht gut ankommt: „So funktionieren Kollektive. Selbst wenn ich später Recht haben sollte, sie werden es mir doch nicht verzeihen.“ (So kam es …)
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,270224,00.html
Sie hierzu auch: http://www.stroebele-online.de/themen/debatte/20115.html