Unser Wirtschaftssystem basiert auf der rücksichtslosen Ausbeutung von Natur und Menschen durch die Großindustrie, und auch durch die Agroindustrie. Das müsste so nicht sein, niemand auf der Welt müsste hungern, bei mehr Fairness und Solidarität. Eine andere Welt ist möglich.
Von Manfred Scherrmann, Schwäbisch Hall
Saatguthersteller, Pharmamultis und andere wirtschaftliche Bigplayer regieren Indien
Die Inderin Vandana Shiva, alternative Nobelpreisträgerin, stellt die aktuelle Situation an den Pranger. Am 30. Mai 2008 sagte sie in einer Rede bei medico zum Thema: Optionen der Veränderung – solidarisches Handeln im Katastrophenkapitalismus:
„Die Habgier von unternehmerischem Kapitalismus drängt die Menschheit an den Rand. Saatguthersteller, Pharmamultis und andere wirtschaftliche Bigplayer sind es, die unser Land regieren. Das ist für mich Diktatur und keine Wirtschaftsdemokratie. Ein Wandlungsprozess hat stattgefunden weg von einer Politik aus dem Volk für das Volk, durch das Volk hin zu einer Politik aus den Konzernen, für die Konzerne, durch die Konzerne.“
Das schwindende Licht der Demokratie
Die Indische Bestsellerautorin Arundhati Roy aus einer Rede, gehalten am 9. September 2009 zur Eröffnung des Literaturfestivals in Berlin zum Thema: Das schwindende Licht der Demokratie:
„ Die Frage lautet: Was haben wir der Demokratie angetan? Zu was haben wir sie gemacht? Was geschieht, wenn sie aufgebraucht, wenn sie hohl und sinnentleert geworden ist? Was folgt, wenn ihre Institutionen als gefährliche Krebsgeschwüre wuchern? Wie wirkt die Fusion von Demokratie und freiem Markt, ihre Verschmelzung zu einem einzigen räuberischen Organismus, in dem eine abgemagerte, beschränkte Vorstellungskraft nur noch Gewinnmaximierung kennt? Ist dieser Prozess umkehrbar? Lässt sich die Mutation zurückbilden? Kann Demokratie wieder zu dem werden, was sie einst war? Ohne eine langfristige Vision kann unser Planet nicht überleben. Dürfen wir diese aber von Regierungen erwarten, deren eigene Existenz vom unmittelbaren und kurzfristigen Profit abhängt?“
Ganz aktuell, am 4. Dezember 2009 wurde im Haller Tagblatt unser neuer „Entwicklungshilfeminister“ Dirk Niebel (FDP) zitiert:
„Ich will die Entwicklungspolitik stärker an deutschen Wirtschaftsinteressen ausrichten. Die Hilfe soll zwar nicht direkt an Aufträge gekoppelt werden, aber die Tür zu öffnen für den deutschen Mittelstand, das ist richtig, wichtig und darum auch meine Aufgabe.
Das Volk und ihre gewählten Institutionen müssen die Macht zurückerobern
Jean Ziegler, der ehemalige UN-Sonderberichtserstatter für das Recht auf Nahrung rief schon im Jahr 2001 zum Kampf gegen das aktuelle neoliberale Wirtschaftssystem in einem Vortrag in Schwäbisch Hall auf:
„Nicht mehr die Nationalstaaten, sondern die multinationalen Gesellschaften sind heute die Herren der Welt. Ihre Herrschaft führt das Gesetz des Dschungels ein, den wirtschaftlichen Kampf aller gegen alle. Der Stärkere siegt über den Schwachen. Gerechtfertigt wird dies mit einer `naturgegebenen Auslese`. Den multinationalen Gesellschaften kommt heute eine Macht zu, wie sie nie zuvor ein Kaiser oder König hatte. Diese Macht muss durchbrochen werden. Es gilt dafür zu kämpfen, dass das Volk und ihre gewählten Institutionen die Macht zurückerobern, über ihr Schicksal selber zu entscheiden.
Ausbeutung, Wettbewerb, Förderung privater Einzelinteressen zum Schaden des Gemeinwohls
Zum Weltsozialforum im Januar 2009 in Brasilien hier ein Ausschnitt aus der Abschlussresolution:
Das gegenwärtige System beruht auf Ausbeutung, Wettbewerb, Förderung privater Einzelinteressen zum Schaden des Gemeinwohls und der fieberhaften Anhäufung von Reichtümern durch eine Handvoll reicher Menschen. Es führt zu blutigen Kriegen, heizt Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und religiösen Fundamentalismus an und verschärft die Ausbeutung von Frauen und die Kriminalisierung von sozialen Bewegungen. Im Zusammenhang mit der derzeitigen Krise werden den Menschen systematisch Rechte vorenthalten.
Es gab in vielen Ländern Hungerrevolten
Hunger auf der Welt müsste nicht sein. Die unwürdige Situation, in der hier viele Landwirte stecken, müsste nicht sein. Doch letztes Jahr ist die Zahl der Hungernden auf der Welt trotz weltweit betrachtet guter Ernten auf eine Milliarde Menschen angestiegen, davon mehr als die Hälfte Kinder. Der Grund waren durch Börsenspekulationen bedingte drastische Preissteigerungen bei mehreren Getreidearten, vor allem beim Reis, beim Mais, und dann auch beim Weizen. Die Nahrungsmittel wurden dadurch plötzlich schlagartig so teuer, dass viele arme Menschen hungerten, weil sie sich das essen nicht leisten konnten. Es gab in vielen Ländern Hungerrevolten. Ein weiterer Grund war, immer mehr Nahrungsmittel wurden zu Agrosprit verwandelt, z.B. Mais und Soja zu Bioethanol, als Beimischung zu Benzin. Dadurch hat sich weltweit die Situation auf dem Getreidemarkt verschärft.
Zufällig wurde zeitgleich ein Bericht des Weltagrarrates veröffentlicht. Dieser besteht aus zirka 400 Wissenschaftlern aus mehr als 90 Ländern, die vier Jahre lang über die Nahrungsmittelproduktion und die Agrarpolitik der letzten Jahre geforscht haben und die zu einem vernichtenden Urteil gekommen sind, was die bisherige Agarpolitik betrifft.
Bäuerliche Strukturen fördern – nicht Großprojekte
„Nicht Großprojekt und die Förderung der landwirtschaftlichen Produktion der Großgrundbesitzer mit hohem Einsatz von Maschinen, Dünger, Spritzmitteln bringen den Fortschritt, sondern die Förderung bäuerlicher Strukturen mit ihrem Wissen über eine angepasste Landwirtschaft mit ihrer engen Verzahnung zwischen Land, Kultur, Mensch und Wirtschaft.“
Der ehemalige Schwäbisch Haller Bürger, inzwischen Beauftragter für Welternährungsfragen beim Evangelischen Entwicklungsdienst, Rudolf Bunzel, zu diesem Bericht:
Ausgangspunkt aller Bestrebungen muss der Bauer bzw. die Bäuerin sein. Die Wissenschaft hat es völlig versäumt, das zu erkennen. Das ist die Krise der Agrarwissenschaft, und damit der Welternährung, denn die Menschheit ist in Zukunft nur zu ernähren, wenn sich die Wissenschaft mit dem Wissen und den Zielen der Bauern und Bäuerinnen verbindet.
Landwirte in unserer Region sind Opfer einer Politik, die die Industrie vorrangig fördert
Zwei Folgerungen hier zum Abschluss: Regional betrachtet sind viele Landwirte in unserer Region Opfer einer Politik, die die Industrie, also die Großen, vorrangig fördert und einen gnadenlosen Preiskampf zulässt wie aktuell bei der Milch. Weltweit betrachtet sind Milliarden Menschen Opfer genau dieser auf individuellen Profit ausgerichteten neoliberalen Politik. Wir, das Volk, sitzen fast alle im gleichen Boot. Es wird Zeit, dass das Volk dafür sorgt, dass es nicht untergeht. Eine andere Welt, eine Welt der Solidarität und Fairness ist möglich. Wer daran nicht glaubt, hat schon verloren.