Wir müssen uns ernsthaft der Frage stellen, ob wir in einer Gesellschaft leben wollen, in der kleine und größere Übertretungen von moralischen und rechtlichen Normen nicht mehr verborgen bleiben. Wenn Übertretungen einmal aufgezeichnet sind, ist die Versuchung groß, sie auch – vorzugsweise automatisiert – zu ahnden. Ist ein solches Leben auszuhalten, erstrebenswert, menschenwürdig? Bisher wird nicht jedesmal, wenn jemand nachts um vier bei roter Ampel über die leere Straße läuft, automatisch ein Strafzettel erstellt. Bald ist das kein Problem mehr.
Gefunden von Axel Wiczorke, Hohenlohe-ungefiltert
Ein lesenswerter Beitrag von Frank Rieger, dem Sprecher des Chaos Computer Clubs:
„Interessant ist, dass die gerade so modischen „Privatsphäre ist vorbei“-Behauptungen vorwiegend von Vertretern der Firmen kommen, die vom Datenhorten am meisten profitieren. Es sind die Chefs von Facebook und Google, von Oracle und Sun. Unternehmen, die mehr Geld verdienen, wenn die Nutzer mehr von sich preisgeben, also mit Informationen über sich selbst für die vordergründig kostenlosen Angebote bezahlen. Im schnöden Profitinteresse wollen sie uns einreden, dass es selbstverständlich ist, jedes Lebensdetail digital zu publizieren. Der Unternehmenswert bemisst sich nach der Zahl der Nutzer und ihrer Informationsfreigebigkeit. Das Erzeugen von Gruppendruck ist die Kernkompetenz sozialer Netzwerke. Die Frage nach den Folgen für die Gesellschaft hat eine ähnliche Dimension wie die Frage nach der Verantwortung der Kasinobanker für die verzockte Zukunft ganzer Länder: Einige wenige betreiben zur kurzfristigen Gewinnmaximierung den Umbau der sozialen Normen, mit unabsehbaren Folgen.
Eine Prognose der künftigen Entwicklung lautet, dass wir toleranter werden. Gleich ob kompromittierende Fotos, unmoralische Hobbys oder seltsame Gewohnheiten – sobald wir alles von allen sehen, müssen wir damit leben. Doch die moralischen Maßstäbe eines bayerischen Bergdorfes lassen sich unter den Bedingungen vollständiger Transparenz von allen für alle nicht aufrechterhalten.“
Passend dazu ein Artikel in der Süddeutschen über FaceBook: Ein anonymer Mitarbeiter verrät im Interview, wie Facebook die Daten seiner Mitglieder filtert. Daraus lassen sich detaillierte Psychogramme erstellen.
http://www.sueddeutsche.de/,ra4m1/kultur/157/500423/text/