Thomas Leif, SWR-Chefreporter und Vorsitzender des Vereins „netzwerk recherche“, verlangt mehr Pluralität statt der immergleichen Experten sowie eine strikte Trennung von Journalismus und PR.
Radiobeiträge des Deutschlandradio Kultur
Betroffene wolle Erkenntnisse lieber unter dem Deckel halten
Investigativer Journalismus, das ist eine Spielart der Berichterstattung, bei der die Erkenntnisse nur mit Finesse, Erfahrung, Kontakten und letztlich auch einer aufklärerischen Grundhaltung gewonnen werden – unter anderem deswegen, weil diejenigen, über die da berichtet wird, diese Erkenntnisse lieber unter dem Deckel halten möchten.
Radiobeiträge des Deutschlandradio Kultur und weitere Informationen:
Fazit der Jahrestagung des Netzwerk Recherche (nr) am 9. und 10. Juli 2010 in Hamburg: http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/1220879/
Interview mit Thomas Leif, Vorsitzender des Netzwerk Recherche: http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/fazit/1222551/
Weitere Informationen auf der Internetseite des Netzwerk Recherche (nr) http://www.netzwerkrecherche.de/
Pressemitteilung zur Vergabe der Verschlossenen Auster für den größten Informationsblockierer des Jahres an die Deutsche Bischofskonferenz der katholischen Kirche:
„Verschlossene Auster“ 2010 geht an die Deutsche Bischofskonferenz – Auszeichnung für die Informationsblockaden der katholischen Kirche
Es wurde vertuscht, verleugnet und verheimlicht:
Die Verschlossene Auster, der Kritik-Preis der Journalistenvereinigung netzwerks necherche e.V. (nr) für den „Informationsblockierer des Jahres“, geht 2010 an die Katholische Kirche für ihren Umgang mit dem Missbrauchsskandal.
Stellvertretend für sie nimmt Matthias Kopp, Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, den Preis entgegen. „Die Deutschen Bischöfe geben bei der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle nur die Tatsachen zu, die sich nicht mehr leugnen lassen. Die katholische Kirche respektiert den Anspruch der Öffentlichkeit auf frühzeitige und vollständige Information nicht und widerspricht damit ihren eigenen Werte-Postulaten nach Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit“, sagte Prof. Dr. Thomas Leif, Vorsitzender von netzwerk recherche, zur Jurybegründung.
Jahrzehntelang wurde geschwiegen, pädophile Pfarrer wurden trotz bekannter Fälle des sexuellen Missbrauchs immer wieder geschützt. Die Täter missbrauchten nicht nur die Körper und Seelen ihrer
Opfer, sondern auch ihre Machtpositionen. Den Aussagen der missbrauchten Opfer wurde weniger Glauben geschenkt als den Priestern. Die Täter, die als Pfarrer autoritäre Instanzen sind, konnten auf
diese Weise ein Schweigekartell errichten, das von der Kirche geduldet wurde.
Die katholische Kirche zeigte trotz vieler Medienberichte nur selten Bereitschaft zur Aufklärung: stattdessen wurden recherchierende Journalisten behindert und Berichterstattung sogar mit rechtlichen Mitteln – Abmahnungen und Unterlassungserklärungen – verhindert. Erst als der Skandal nicht mehr nur als „bedauerliche Einzelfälle“ zu leugnen war, reagierte die katholische Kirche, meist zögerlich und zaghaft. Trotz massiven Forderungen aus Politik und Öffentlichkeit nach einer rückhaltlosen Aufklärung und Bestrafung der Täter, hielt die katholische Kirche an einer internen Aufarbeitung fest. Die innerkirchlichen „Aufklärungs“-Maßnahmen behindern bis heute in manchen Fällen sogar die staatsanwaltlichen Ermittlungen. Zugleich beantworteten Kirchenvertreter die Berichterstattung mit Medienschelte: Den Medien gehe es darum, die Glaubwürdigkeit der Kirche zu erschüttern, meinte beispielsweise der Regensburger Bischof Gerhard Müller im März in einer Predigt im Regensburger Dom. Müller rückte die Berichterstattung dabei sogar in die Nähe der kirchenfeindlichen Haltung der Nationalsozialisten. „Jetzt erleben wir wieder eine Kampagne gegen die Kirche“, sagte er. Die Menschen würden „manipuliert durch verkürzte Berichte, durch ständige Wiederholung von Vorgängen aus alter Zeit“, so dass der Eindruck erweckt werde, die Kirche sei „eine Institution, wo die Leute völlig verdorben sind“.
„Die katholische Kirche muss sich zu einer prinzipiellen Kurskorrektur in ihrer Informationspolitik aufraffen und die Öffentlichkeit künftig unverzüglich und vollständig informieren. Nur so kann sie Stück für Stück dem entstandenen Glaubwürdigkeits-Vakuum begegnen”, fordert der nr-Vorsitzende Thomas Leif anlässlich der Verleihung der „Verschlossenen Auster“. Der Kritik-Preis wird in diesem Jahr zum neunten Mal verliehen. Er steht als mahnendes Symbol für mangelnde Offenheit und Behinderung der Pressefreiheit von Personen oder Organisationen gegenüber den Medien. Die Preisträger erhalten zur Erinnerung und als Mahnung zur Besserung eine Skulptur des Marburger Künstlers Ulrich Behner aus reinem Schiefer.
Preisträger der vergangenen Jahre waren der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily, der Lebensmittelkonzern Aldi, die Hypo-Vereinsbank (stellvertretend für die DAX-Unternehmen), der damalige DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder, der damalige Chef der Deutschen Bahn AG, Hartmut Mehdorn, der damalige russische Präsident Wladimir Putin, das Internationale Olympische Komitee und 2009 der Bundesverband deutscher Banken. Die ausgezeichneten Preisträger erhalten das Recht auf Gegenrede oder Stellungnahme vor der Jahreskonferenz von netzwerk recherche, an der in diesem Jahr mehr als 800 Medienvertreter teilnehmen.
Die Laudatio auf den Preisträger hielt Dr. Heribert Prantl, Innenpolitik-Chef der Süddeutschen Zeitung. Die Deutsche Bischofskonferenz wird von ihrem Sprecher Matthias Kopp vertreten. „Und du wirst tappen (…), wie ein Blinder tappt im Dunkeln, und wirst auf deinem Wege kein Glück haben und wirst Gewalt und Unrecht leiden müssen dein Leben lang und niemand wird dir helfen. (Altes Testament, 5. Buch Mose)