„Nur die allerdümmsten Kälber bezahlen ihren Metzger selber“ – Geht der Schwäbisch Haller Einzelhandel mit „Halligalli“ in den Untergang?

Einzelhändler in Schwäbisch Hall sind besorgt über die „Marketing“-Politik der dortigen Stadtverwaltung. Die alteingesessenen Einzelhändler der Innenstadt sollen bei der Eröffnung des Kocherquartiers im Frühjahr 2011 ihren „eigenen Untergang“ feiern und mitfinanzieren.

Von Ralf Garmatter, Hohenlohe-ungefiltert

Merkwürdige Rolle der Touristik- und Marketing-GmbH (TMG)

Eine merkwürdige Rolle spielt die Touristik- und Marketing-GmbH (TMG). Sie kümmert sich derzeit vorrangig um positive Stimmung für das neue Einkaufszentrum „Kocherquartier“, das im Frühjahr eröffnet werden soll. Von Donnerstag, 31. März bis Samstag, 9. April 2011, wird die Neueröffnung nach den derzeitigen Plänen der TMG gefeiert. „Halligalli“ lautet das Motto der zehntägigen Einweihungsfeierlichkeiten. Den Slogan „Halligalli“ halten viele Schwäbisch Haller für reichlich flachwitzig.

Flotte Dreierparty im Halli Galli in Wiesloch

Ein Blick in die Internetsuchmaschine Google bringt als ersten Halligalli-Treffer einen „Discostadl Halli Galli“ in Wiesloch. Dort findet heute (Sonntag, 9. Januar 2011) eine „Zocker-Single-Party“ statt. Eine „Flotte-Dreier-Party“ steigt im Halligalli in Wiesloch am Sonntag, 16. Januar 2011. Der nächste Halligalli-Suchtreffer in Google führt zur Discothek Halli Galli in Berlin-Reinickendorf. Diese nennt sich selbst „Die verrückte Ski-Hütte im Norden Berlins“. Auch dort gibt es in den nächsten Tagen ein erlesenes Kulturprogramm. Bespielsweise eine „Smirnoff Flavour Promotion Tour – Smirnoff Lime and Green Apple 2 cl jeweils nur 1 Euro“ am Freitag, 14. Januar 2011 oder „4 The Ladies – Frauenbewegung“ am Samstag, 22. Januar 2011. An diesem Tag erhalten alle Frauen, die sich „23.23 Uhr ins Halli Galli bewegen“ freien Eintritt und obendrauf Getränkebons im Gesamtwert von 10 Euro. Na, bei den Veranstaltungen in diesen beiden genannten „Halli Gallis“ sind doch sicher auch ein paar Anregungen für eine gelingende Einweihungsparty des Halligalli-Kocherquartiers in Schwäbisch Hall dabei.

Beim Scheitern des Projekts haften die Steuerzahler

Aber Späßchen beiseite. Dieses Kaufzentrum in Schwäbisch Hall wurde nicht von privaten, profitorientierten Unternehmen projektiert, sondern direkt von der Verwaltung, gebaut von der stadteigenen Bauträgerfirma GWG („gemeinnützig“). Die Kosten belaufen sich nach bisherigen Schätzungen auf etwa 100 Millionen Euro. Bei einem Scheitern des Projekts haften letztlich die Steuerzahler. Dieses Einkaufszentrum bedroht die bisher ansässigen Handelsgeschäfte in Schwäbisch Halls Innenstadt. Darunter sind auch viele inhabergeführte Familienbetriebe, aber auch alle anderen gewachsenen Strukturen in der Stadt sind in Gefahr. Für viele Geschäftsinhaber ist es erschütternd, mit welchem Zynismus die Vernichtung von wirtschaftlichen Existenzen von der Stadtverwaltung und Teilen des Stadtrats billigend in Kauf genommen werden. Dem Vernehmen nach sollen bei der Kocherquartiereröffnung in der Stadt viele Fahnen wehen. Man hört, dass auf die Fahnen noch kleine tibetische Symbole appliziert werden sollen….

Unkritische Berichterstattung des Haller Tagblatts

Viele Betroffene kritisieren beim Thema Kocherquartier auch die unkritische Berichterstattung des Haller Tagblatts. Eine Geschäftsfrau nennt die Schwäbisch Haller Lokalzeitung gar ein „Propaganda-Instrument des verfilzten Machtestablishments“.

Werbesingsang auf das neue Kocherquartier

Einen Werbesingsang auf das neue Kocherquartier verbreitet die Erste Bürgermeisterin der Stadt Schwäbisch Hall. In einer Werbebroschüre an die Schwäbisch Haller Gewerbetreibenden schreibt Bettina Wilhelm in ihrem Vorwort:

„Liebe Gewerbetreibende in unserer Stadt,
im Jahr 2011 wird in der Stadt Schwäbisch Hall ein ganz besonderes Ereignis gefeiert. Durch die Eröffnung des neuen Kocherquartiers wird sich unsere gesamte Stadt zukunftsweisend verändern. Wenn sich die Gewerbetreibenden des historischen Stadtkerns und der Handelszentren und die Betreiber der großflächigen Geschäfte im Kocherquartier gegenseitig die Hand zum Miteinander reichen – dann wird Schwäbisch Hall in der Lage sein, sich einen Vorsprung, im Wettbewerb der Mittelstädte hinsichtlich Einkaufs-, Kultur-, Erlebnis- und Lebensattraktivität, zu erarbeiten. Mit Ihrem Engagement und Ihren Aktivitäten leisten sie einen wichtigen Beitrag für das Neueröffnungsfest, damit dieses weit über die Grenzen unserer Region bekannt und in guter Erinnerung bleiben wird.

Wir zählen auf Sie.
Ihre Erste Bürgermeisterin
Bettina Wilhelm“

Jeder Euro kann nur einmal ausgegeben werden

In der Werbebroschüre werden die Gewerbetreibenden in Schwäbisch Hall für dumm verkauft. Auf zwölf Seiten werden ihnen die Vorzüge der Kocherquartier-Eröffnung schmackhaft gemacht. „Wir sind dabei“ heißt es auf Plakaten, Fahnen, Türaufklebern, Schaufensteraufstellern, Fußmatten, Teilnahmekarten, Gummibärchen, Schirmen und Schaufensterklebern. Nach den Wünschen der TMG-Organsiatoren und der städtischen Verwaltungsspitze soll ganz Schwäbisch Hall in einem gelb-roten Fahnen-, Plakate- und Lichtermeer versinken. Einziger Haken: Wer dabei sein will, wird für die Werbeartikel, die entfernt an gelbe Ortsschilder erinnern, kräftig zur Kasse gebeten. Eine Halligalli-Fahne „Wir sind dabei“ kostet laut Preisliste ohne Rabatt 60 Euro, ein Lichtmodul schlappe 340 Euro. Geld, das den Alt-Einzelhändlern durch die Kundenabwanderung ins Kocherquartier ab dem 31. März 2011 fehlen wird. Eine Binsenweisheit besagt: Jeder Mensch kann einen Euro, den er/sie besitzt nur einmal ausgeben. Das heißt im Fall Schwäbisch Hall: Entweder im Kocherquartier oder in den alteingesessenen Geschäften der Innenstadt oder in den Einkaufszentren auf der grünen Wiese. Eines ist sicher: Es wird künftig nicht an allen Einkaufsorten der Stadt Schwäbisch Hall „Halligalli“ sein.

Es wird krampfhaft Euphorie verbreitet

Janine Leonberger, Leiterin Touristik und Marketing der Stadt Schwäbisch Hall, gibt sich in einem Werbebrief an die Gewerbetreibenden in Schwäbisch Hall ebenso euphorisch wie zuvor schon die Erste Bürgermeisterin Bettina Wilhelm. Janine Leonberger schreibt in ihrem Brief an die Gewerbetreibenden:

„Neueröffnung Schwäbisch Hall – Ihr Erfolgspaket

Sehr geehrte Damen und Herren,
im Rahmen der Neueröffnungskampagne von Schwäbisch Hall haben Schwäbisch Hall aktiv e.V. und die Stadt für alle Gewerbetreibenden Erfolgspakete zusammengestellt. Ein wichtiger Bestandteil ist das geplante Stadtmagazin „Hallo“. Dieses soll im Jahr 2011  zum ersten Mal zur Neueröffnung mit einer Gesamtauflage von rund 133.000 Stück erscheinen. Die Stadt beteiligt sich an diesem Magazin mit 13.000 €.

Hier die Facts:

Das Stadtmagazin „Hallo“
3 Ausgaben 2011
Format: DIN A4
Mindestumfang: 48 Seiten
Auflage: 133.000 Stück

Preise: 1/1 Seite 1.450 Euro, ½ Seite: 725 Euro, ¼ Seite: 362,50 Euro
Verteilung: als Einleger in Hohenloher Trends (1. März 2011), Haller Tagblatt (KW 10/ 2011) Kreiskurier (KW 11/2011) und Echo am Sonntag (KW12/2011).

Anbei senden wir ihnen den Flyer mit den Erfolgspaketen.
Für alle Q-Betriebe und Schwäbisch Hall aktiv Mitglieder gibt es Preisvergünstigungen bei Buchungen eines Erfolgspakets.“

Hohenlohe-ungefiltert meint: „Nur die allerdümmsten Kälber bezahlen ihren Metzger selber.“

Info:

Die Touristik- und Marketing-GmbH (TMG) ist ein zu ökonomischem Wirtschaften verpflichteter Eigenbetrieb der Verwaltung. Diese Gesellschaft ist aus dem ehemaligen Kulturamt der Stadt Schwäbisch Hall hervorgegangen.

Weitere Informationen im Internet:

http://www.kocherquartier-sha.de/sitemap.html

http://www.halligalli-wiesloch.de/

http://www.discothek-halligalli.de/events.htm

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4 Gedanken zu „„Nur die allerdümmsten Kälber bezahlen ihren Metzger selber“ – Geht der Schwäbisch Haller Einzelhandel mit „Halligalli“ in den Untergang?

  1. Danke für den Hintergrundbericht!

    Hohenlohe-ungefiltert hat sich in kurzer Zeit zu einem Qualitätsmedium entwickelt, das vielen BürgerInnen der Region als wichtige und unabhängige Informationsquelle dient.

    Dass kritisch berichtet und in den Kommentaren auch kontrovers diskutiert und gestritten wird, sind Qualitätsmerkmale.

    Hohenlohe-ungefiltert ist für die Region wertvoll und verdient öffentliche Förderung seitens der Gemeinden und des Landkreises.

  2. „dann wird Schwäbisch Hall in der Lage sein, sich einen Vorsprung, im Wettbewerb der Mittelstädte hinsichtlich Einkaufs-, Kultur-, Erlebnis- und Lebensattraktivität, zu erarbeiten“.

    In Hall sollte man sich mal langsam überlegen, ob man nicht zu größenwahnsinnig wird.

    Während Nikolaos “Nik” Sakellariou noch davon schwafelt, dass man Kaufkrauf von Heilbronn und Stuttgart abziehen will (http://www.hohenlohe-ungefiltert.de/?p=7860#comments), wird in obigem Artikel deutlich, um was es geht. Crailsheim, Künzelsau, Öhringen usw. sollen weiter Kaufkraft zugunsten von Hall verlieren.

    Wenn man sich da nur nicht richtig verrechnet hat. Vielleicht (hoffentlich bei soviel Größenwahn und Egoismus) gibt es höchstens einen kurzen, von Neugier getriebenen, Anfangsboom und dann ist den weiter weg wohnenden Leuten auch schon wieder der Weg zu weit.

    Vielleicht bewahrheitet sich mal wieder das alte deutsche Sprichtwort:

    „Hochmut kommt vor dem Fall“.

  3. Man darf gespannt sein wie sich das ganze entwickelt, daß sich aber die Händler der Innenstadt hier finanziell beteilgen sollen, während wie man hört die dann neuen Geschäfte wohl keinen Obulus leisten müssen ist schon ein starkes Stück.

    Von den genannten Städten Crailsheim, Künzelsau und Öhringen wird wohl eher weniger Kaufkraft nach Hall fliessen.

  4. Eine Informationsgesellschaft, die alles zur Ware degradiert und Information, durch Werbung, als Spaßfaktor im Warenhandel wahrnimmt, ist eine dekadente Gesellschaft mit einer Diktatur der Ökonomie. Sie wird bei Laune gehalten durch die Demokratie der Investoren. Es wird alles zum event, das shopping in Warenkathedralen, unterlegt mit dezenter Musik, fordert den mündigen Bürger zum Konsum – zum halben Preis. Der, der Schaden nimmt, gesundheitlichen oder wirtschaftlichen, wird aufgefordert kein Spielverderber zu sein.
    Und das ist es was unser Goldjunge Westerwelle meinte mit spätrömischer Dekadenz. Nur hatte er in der Schule nicht richtig aufgepaßt, er hatte die Seiten verwechselt, von wem das kommt.
    Kaufkraft ist alles, Rendite entsteht durchs Monopol an Waren. Man kann nur sagen: Leute kauft regional, sonst seid ihr eines Tages verkauft und ihr merkt es nicht. Widerstand gegenüber dieser Diktatur von Ökonomie ist notwendig.

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