„Wer tolerant sein will, muss die Grenze zum Nichttolerierbaren kompromisslos festlegen“ – Offener Brief von Wolfgang Moser an Landtagsvizepräsident Drexler

Einen offenen Brief an den Landtagsvizepräsidenten Wolfgang Drexler (SPD) hat Wolfgang Moser aus Fichtenau geschrieben. Der Herausgeber des Internetblogs „Fichtenauer Forum“ bezieht sich darin auf Äußerungen des Fichtenauer Bürgermeisters Martin Piott.

Zugesandt von Wolfgang Moser aus Fichtenau

Sehr geehrter Herr Landtagsvizepräsident Drexler,

Ihre Rede zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2011 in Karlsruhe hat mich bewogen, den folgenden offenen Brief an Sie zu richten (veröffentlicht unter http://fichtenauerforum.blogspot.com/2011/01/die-grenzen-des-nichttolerierbaren.html):

Sehr geehrter Herr Landtagsvizepräsident Drexler,

in Ihrer Rede zum diesjährigen Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus in Karlsruhe haben Sie eindringlich auf die politischen und moralischen Lehren hingewiesen, die aus der Zeit des Nationalsozialismus zu ziehen seien.

Zwei Monate vor dem Tag, an dem Sie Ihre Rede hielten und auch in unserer Gemeinde die Fahnen auf Halbmast gesetzt wurden, hatte der Fichtenauer Bürgermeister und CDU-Kreistagsabgeordnete Martin Piott in der alljährlichen Bürgerversammlung Bürger der Gemeinde mit folgenden Worten mit dem nationalsozialistischen Unrechtsregime in Zusammenhang gebracht:

„Es geht los bei einem Internet-Forum, das uns schon seit etwas mehr als 14 Monaten begleitet und für einiges an Aufruhr in unserer Gemeinde und auch außerhalb unserer Gemeinde gesorgt hat . . . Schon nach wenigen Beiträgen wurde die Intention der Beitrags- und Kommentarschreiber ganz eindeutig klar . . . Mich hat jemand gefragt, wo diese Leute denn herkommen, warum die das machen . . . warum die so schreiben? Haben die das bei den Nazis oder bei der Stasi gelernt? Da habe ich gedacht, Mensch, das ist doch was, was wir in Deutschland seit mindestens zwanzig Jahren überwunden haben sollten.“

Ihre Gedenk- und Mahnrede zum 27. Januar, sehr geehrter Herr Landtagsvizepräsident, liest sich streckenweise wie eine Antwort auf diese unsägliche politische Entgleisung unseres Bürgermeisters.

Auszüge:

„Erinnern muss wehtun, sonst wäre es ein fataler Selbstbetrug. Es ist unser Interesse, durch Erinnern zu lernen – das heißt, uns so wachsam und so stark zu machen, dass wir nicht erneut abgleiten in Despotie, in Barbarei oder – um einen modernen Begriff zu verwenden – in gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.“

„Wer vergisst, der macht sich im Nachhinein zum Komplizen – der tötet noch einmal. Das konkrete, schonungslose Offenlegen der NS-Verbrechen und das sichtbare Annehmen der uns erwachsenen Verantwortung sind Kernbestandteile unserer politischen Kultur und eines wirklich geläuterten Nationalverständnisses.“

„Die Kenntnis der historischen Fakten muss so in eine Beziehung zur Gegenwart gesetzt werden, dass sie im Alltag zu moralischer Sensibilität, zu politischer Verantwortung und zu Zivilcourage im direkten Umfeld führt.“

„Wer tolerant sein will, muss die Grenze zum Nichttolerierbaren kompromisslos festlegen.“

„Der ´Rubikon´ wird schon überschritten beim Abwerten und Brandmarken von Juden – und, wie eingangs mit den Worten Anne Franks dargestellt, beim Klassifizieren, Verpönen und Ächten von Flüchtlingen, Behinderten, Homosexuellen, Obdachlosen, Muslimen oder anderen Gruppen.“

„Der Schlüssel für ein gelingendes Miteinander ist daher, jenen Wert zu leben und zu lehren, der im jüdischen, im christlichen und übrigens auch im islamischen Glauben tief verankert ist: den Wert der Gemeinschaft auf Grundlage der Würde des Einzelnen.“

„Jede Verletzung dieses Wertes muss – ohne Anschauung der Person – unsere Empörung auslösen. Da darf es keine Gleichgültigkeit, kein Beschwichtigen, kein Relativieren geben.“

„Und deshalb brauchen wir wieder mehr Zivilcourage und Mut.“

„Ich wünsche mir viele mutige Frauen und Männer in unserem Land, die dann mahnend und protestierend hinstehen, ihre Stimme am Stammtisch, im Büro, im Laden, im Verein und in der Familie erheben, wenn sich wieder Unverbesserliche und Unbelehrbare mit ihren menschenverachtenden Parolen zu Wort melden.“

Landrat Gerhard Bauer, Chef der zuständigen Rechtsaufsichtsbehörde, aufgefordert, den Fichtenauer Bürgermeister, wenn schon nicht politisch zu maßregeln, so ihn doch wenigstens zur Einhaltung seiner beamtenrechtlichen Verpflichtung zur Zurückhaltung und Mäßigung bei politischer Betätigung anzuhalten, nahm zu seinen Äußerungen wie folgt Stellung:

„Das Zitat ´… diese Leute´ und ´Haben die das…´ ist allgemein von einem Dritten als Frage formuliert und bezieht sich nicht auf bestimmte Personen. Es sind keinerlei Anhaltspunkte für ein pflichtwidriges Verhalten von Herrn Bürgermeister Piott erkennbar. Es besteht daher kein Anlass für ein Tätigwerden der Rechtsaufsichtsbehörde.“

Weder Gemeinde- und Kreisräte noch die zuständigen Landtagsabgeordneten, weder das Regierungspräsidium Stuttgart noch das baden-württembergische Innenministerium haben sich bis heute zu dieser beispiellosen geschichtsvergessenen Diskriminierung von Bürgern durch ihren Bürgermeister geäußert.

Erlauben Sie mir, sehr geehrter Herr Landtagsvizepräsident, daher abschließend ein weiteres Mal Ihren Satz zu zitieren: „Wer tolerant sein will, muss die Grenze zum Nichttolerierbaren kompromisslos festlegen.“

Beim Nazi-/StasiVergleich des Fichtenauer Bürgermeisters fehlt es an dieser Grenzziehung bis heute.

Mit freundlichen Grüßen

W. Moser
Herausgeber des FICHTENAUER FORUMS

In der Hoffnung auf die Verbindlichkeit Ihrer Worte, die Kenntnis der historischen Fakten müsse so in eine Beziehung zur Gegenwart gesetzt werden, dass sie im Alltag zu moralischer Sensibilität, zu politischer Verantwortung und zu Zivilcourage im direkten Umfeld führt,

verbleibe ich

mit freundlichen Grüßen

Wolfgang Moser
FICHTENAUER FORUM
Mühlweiherweg 22
74579 Fichtenau
Telefon: 07962/322
Fax: 07962/71 26 89
E-Mail: fichtenauerforum@gmx.de

Die Rede von Wolfgang Drexler im Internet:

http://www.wolfgang-drexler.de/download/text/drexler_rede_gedenkfeier.pdf

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